Aus: Afrique-Europe-Interact: Newsletter Nr. 26 (Oktober 2020):
In Algerien ist es in den letzten Wochen mehrfach zu Massenabschiebungen von Migrant*innen und Geflüchteten aus Subsahara-Afrika nach Niger gekommen. Konkret bedeutet dies, dass die Abgeschobenen mitten in der Wüste an der algerisch-nigrischen Grenze ausgesetzt werden (mittlerweile handelt es sich um mehrere tausend Menschen, die seit Ende September abgeschoben wurden). Da es eine der zentralen Aufgaben das Alarmphone Sahara ist, derartige Abschiebungen zu beobachten, konnten wir nach der ersten Massenabschiebung direkt mit einer Pressemitteilung reagieren:

https://afrique-europe-interact.net/1974-0-Pressemitteilung-APS-06102020.html

Erfreulich ist, dass diese Pressemitteilung von diversen Medien sowohl in Afrika als auch in Europa aufgenommen wurde. Darüber hinaus haben wir uns auch mit einem Protestbrief an den UNHCR in Niger gewandt, da sich unter den Abgeschobenen mehrere Dutzend Menschen befunden haben, die in Algerien als „Geflüchtete“ anerkannt waren.

Algerien setzt tausende Menschen in der Wüste aus

Die Regierung in Algier erntet Kritik wegen Massenabschiebungen in den Niger
Sofian Philip Naceur aus Tunis, 15. Oktober 2020

Kaum hat sich die Corona-Pandemie in Algerien etwas entspannt, haben die Behörden ihre umstrittenen Massenabschiebungen von Geflüchteten und Migranten in das Nachbarland Niger wiederaufgenommen. Und zwar in großem Stil: Seit Ende September wurden innerhalb von neun Tagen mindestens 3105 Menschen ausgewiesen, berichtet das Aktivistennetzwerk Alarme Phone Sahara (APS).

Mehr als die Hälfte davon wurde in sogenannten „inoffiziellen“ Konvois an der mitten in der Sahara gelegenen Grenze zwischen beiden Ländern in der Wüste ausgesetzt, also ohne Absprache mit Niger. Sie wurden gezwungen, zu Fuß in die dutzende Kilometer entfernte Grenzstadt Assamaka zu laufen.

Internationales Aufsehen
Während in den offiziellen Konvois fast nur nigrische Staatsbürger abgeschoben wurden, wies Algerien im Rahmen der inoffiziellen Abschiebungen Menschen aus 18 anderen afrikanischen Staaten aus, darunter laut APS 403 Minderjährige.
Das Ausmaß der Abschiebewelle sorgt inzwischen auch international für Aufsehen. In einer Stellungnahme erklärte Human Rights Watch (HRW) am Wochenende, Algerien habe seit Jahresbeginn mehr als 16.000 Menschen so außer Landes gebracht.
Algeriens Regierung hatte angesichts der Corona-Krise die zuvor allwöchentlich durchgeführten Abschiebungen im März vorübergehend eingeschränkt. Seit September sind nun aber auch wieder mehr als 60 beim UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR registrierte Asylwerber verhaftet und abgeschoben worden, bestätigte das Algerien-Büro der UN-Behörde auf Nachfrage. „Das UNHCR ist zutiefst besorgt über die Verhaftungen und kollektiven Ausweisungen von Asylwerbern und Migranten“, erklärte der Beauftragte für Außenbeziehungen des UNHCR-Büros in Algier, Russell Fraser, dem STANDARD.

Militärlaster an die Grenze
Grundlage von Algeriens höchst umstrittener Abschiebepolitik ist ein 2014 geschlossenes bilaterales Abschiebeabkommen zwischen den Regierungen in Algier und Niamey, das jedoch nur Ausweisungen nigrischer Staatsbürger erlaubt. Nach Abschluss des Deals schob Algerien zunächst nur sporadisch Menschen in das südliche Nachbarland ab, weitete die systematisch gegen internationales Menschen- und Flüchtlingsrecht verstoßende Ausweisungspraxis jedoch seit 2017 massiv aus. Seither werden im Rahmen gezielter Razzien fast wöchentlich hunderte Einwanderer verhaftet, anschließend in Buskonvois in das 2000 Kilometer südlich von Algier gelegene Tamanrasset gebracht und dann auf Militärlastwagen an die Grenze zu Niger überstellt.

Algeriens Innenminister Kamel Beldjoud hatte derweil am 1. Oktober während einer Rede vor dem Parlament in Algier erklärt, seine Regierung habe eine „nationale Strategie im Kampf gegen das Phänomen“ erlassen. Diese halte sich strikt an die von Algerien unterzeichneten internationalen Konventionen, „insbesondere im Hinblick auf die Achtung der Menschenrechte und die Würde von Migranten“. Menschenrechtsgruppen, Aktivisten und sogar UN-Behörden zeichnen jedoch ein ganz anderes Bild von Algeriens Migrationspolitik und dokumentieren seit Jahren systematische Menschenrechtsverletzungen. Unklar ist, ob es dazu auch eine Abstimmung mit der EU gibt.

Der Standard 15.10.20

Alarmphone Sahara: Massenabschiebungen von Algerien nach Niger