Seenotrettung und Schurkenstaat

In den vergangenen Tagen hatte die italienische Justiz gegenüber der „Sea Watch 3“ wieder ein Mindestmaß an Rechtssicherheit eingeführt. Mit der Externalisierung der Seenotrettungskriminalisierung an den Schurkenstaat Malta hätte die komplette Besatzung samt Parlamentarier in der Haft verschwinden – und die geretteten Boat-people wären mit einer Push-Back-Aktion sonst wohin gebracht worden.

Carolas Staatsanwalt und der libysche Lagerkommandant

Carolas Staatsanwalt Luigi Patronaggio hatte zuvor gegen den italienischen Innenminister Matteo Salvini wegen Freiheitsberaubung der Geretteten der „Diciotti“ ermittelt. Das Parlament hatte das Strafverfahren gegen den Innenminister gestoppt. Nun hat derselbe Staatsanwalt einen wahren juristischen Schatz in der Hand – gegen Salvini und gegen die EU-Beauftragung libyscher Küstenmilizen mit der Drecksarbeit der Lager und der Abschottung. Die Causa Carola kann zur Causa Bija und zur Causa EU-Libyen werden. Wenn der Staatsanwalt will, darf und kann.

„#FreeCarola“, Salvini und die Flüchtlingssolidarität

Die Herausgeberin der bürgerlichen Huffington Post, italienische Ausgabe, übertrifft in ihrem Leitartikel alle linken und NGO Appelle zur Seenotrettung und zur Freilassung Carolas. Lucia Annunziata ‎fordert die Festnahme des italienischen Innenministers Matteo Salvini, und selbstverständlich eine ungehinderte Seenotrettung sowie CarolaFree. Was führt bürgerliche Medien und Regierungsminister in Berlin, Luxemburg und Paris, die den Aufbau einer maximal flüchtlingsfeindlichen Frontex-Truppe betreiben bzw. begrüßen, zu ihrer Protesthaltung gegenüber Salvini?

Der erste Grund, den sie alle verschweigen, dürfte der ungeahnte Aufschwung einer radikalen Flüchtlingssolidarität vor allem in Italien und Deutschland sein. Da möchte man sich gerne an die Spitze stellen, um diese zu kanalisieren.

UNO versus Salvini: Das Massensterbenlassen und die Menschenrechte

Die UNO hat am 15.05.2019 in beispielloser Kritik die italienische Regierung für die Politik des Massensterbenlassens im Mittelmeer kritisiert. Der UN-Kritik wird im italienischen Antwortschreiben eine „unpassende Herangehensweise“ und eine „erstaunliche Engstirnigkeit“ bescheinigt. Italien werde mit verschärften Mitteln des Strafrechts versuchen, die NGO-Seenotretter als letztes „Glied in der Kette“ des kriminellen Schlepper-Aktionsmodells auszuschalten. Salvini ruft die gesamte italienische Exekutive auf, sich gegen die UN-Kritik um das Innenministerium zu scharen.

Protest eritreischer Refugees im Todeslager Zintan

Das sind „die Bilder, an die wir uns“ nach den Worten des ehemaligen Innenministers de Maiziere, „gewöhnen müssen“. Müssen wir das?

Die Bilder sind ein Hohn auf die Mühen der Aktivist*innen in der Seenotrettung, bei der Seebrücke und in den Solidarity Cities. Wann gibt es endlich ein Bündnis aus Stadtverwaltungen, Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, UN und anderen internationalen Agenturen, um die EU-libyschen Push Backs zu stoppen und die Evakuierung der Geflüchteten aus den libyschen Lagern – nach Europa! – durchzusetzen?

Algeriens Ausstrahlungskraft und der Dschihadismus in der Sahara

Die sozialen wie politischen Mobilisierungen in Algerien und im Sudan könnten nicht nur die beiden jahrzehntealten Regime ins Wanken bringen, sondern haben auch enorme Auswirkungen auf den sozialen Wandel in Nordafrika und die Sahara. In folgendem Interview regt Jean-François Bayart dazu an, die säkular ausgerichteten nordafrikanischen Küstenproteste mit den dschihadistischen Aufständen im Sahel als Ausdruck des sozialen Widerstands gegen die forcierte Kapitalakkumulation zusammenzudenken. Die Jugendlichen organisieren sich nach Prinzipien der sozialen Nähe und begehren damit auch auf gegen traditionalistische Hierarchien.