Auf einem Cartoon im Tagesspiegel sind auf einem Sofa von hinten ein weißer und ein bronzener Haarschopf zu erkennen, vor einem Bildschirm sitzend, auf dem das Feuer von Moria lodert.

Seehofer: „Wir brauchen eine europäische Lösung“.

Merkel: „Das ist die europäische Lösung“.

Gestern haben zahlreiche Geflüchtete auf Lesbos mit Entschiedenheit gegen ihre Gefangenschaft protestiert. Auch heute protestieren Hunderte, die Polizei setzt Tränengas ein. Die Proteste richten sich zugleich gegen die Hotspots und Abschiebeplattformen, die in der Peripherie Europas errichtet werden sollen. Das neue Lager in Moria ist schon in Bau.

Die griechischen Lagerverwalter haben Corona zum Anlass genommen, das Lager in Moria mit NATO-Draht abzuriegeln. Die europäische Politik hat Corona genutzt, um die Geschehnisse auf dem Meer und das Thema Moria hinter den Hygienediskussionen verschwinden zu lassen. Die Demo in Hanau wurde verboten, in Berlin durften die Hygienegegner*innen fröhlich Urstände feiern. Die Regierung konnte sich auf die Disziplin der Vernünftigen gegenüber der Pandemie verlassen. Aber es ist noch nicht ausgemacht, ob dieses Kalkül am Ende aufgeht. Das schamlose Verdrängen der Humanität durch die Hygiene erscheint vielen Menschen als Betrug. Merkel und Seehofer verspielen ihr moralisches Kapital nicht nur gegenüber den Geflüchteten, sondern auch bei großen Teilen gerade der verständigen Bevölkerung. Beachtliche Widerstände gibt es auch innerhalb der politischen Klasse, Claudia Roth spricht vom „Totalversagen des Innenministers“.

Das Feuer von Moria könnte zum Fanal werden, das zumindest in einigen europäischen Städten etwas auslöst. Fünf Jahre nach Keleti ist ein zweites Wunder fällig.

„So, es reicht. Genug fremdgeschämt vorm abendlichen Fernseher. Lasst sie rechts liegen, die realistisch-rationalisierten Nationalpragmatiker. Denkt. Kümmert euch um Menschen wie Menschen. Das will ich. Und viele andere wollen das auch. Denn: So sind wir nicht – und so schon gar nicht! Habt wieder Mut und gebt ihn weiter! Lasst euch nicht verängstigen. Schaffen wir gemeinsam ein Bündnis der Willigen! Denn ich will, dass diese Welt für möglichst viele Menschen besser wird, ich will sehen, wo meine Hilfe helfen kann. Blamieren wir uns nicht mit unseren Decken und Zelten – denn schon morgen könnte ein Bündnis der Helfenden uns überholen und beschämen.“

Cornelius Obonya im Standard, 12.09.2020

:::::

Andere Berichte und Kommentare:

Das ist die europäische Lösung