[…] Wo sind die Flugzeuge? Wo sind die Armeen von Helfern, die mit Gütern des überlebensnotwendigen Bedarfs zu den Notleidenden eilen? Wo sind die UN-Profis mit ihren Zeltstädten und Registrierungssystemen? Wo sind die Evakuierungsflüge? In der Nacht zum Mittwoch brannte auf der griechischen Insel Lesbos das Flüchtlingslager Moria nieder. Fünf Tage später sitzen fast alle seiner Bewohner immer noch auf der Straße. Für ihr Obdach müssen sie selbst sorgen, Wasser und Brot sind Glückssache. Die lokale Bevölkerung sieht sie als gefährliche Virenträger, die Polizei hält sie mit Tränengas in Schach.

„Das ist jenseits von Worten“, berichtete im WDR-Fernsehen am Samstagabend eine erfahrene Reporterin. „Du gehst hier rein, hinter der Polizeikontrolle, du hörst keine Stimmen, und dann liegen die da alle. Nicht Hunderte. Tausende.“ Am Sonntag war nicht einmal das mehr möglich. Die Polizei hatte die Flüchtlinge abgeriegelt – von den Medien und von Hilfsorganisationen. Die Leute kollabieren vor Durst, auf einer Insel mit Tagestemperaturen von über 30 Grad, auf der es seit Mai nicht geregnet hat.

„Das ist nicht Europa“, behauptete die Reporterin. Doch. Das ist Europa. Genau das. […]

TAZ | 13.09.2020

Das ist Europa