Berlin und Paris kündigen eine Initiative zur weiteren Militarisierung des Sahel an. Die Maßnahme nennt sich, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel am Sonntag auf dem G7-Gipfel in Biarritz berichtete, „Partnerschaft für Sicherheit und Stabilität im Sahel“. Merkel zufolge sollen in diesem Rahmen „die Truppen und die Polizeikräfte“ aus fünf Staaten der Region „national gestärkt“ werden. Dazu werde man, erklärt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, auch neue Finanzmittel einwerben. Bei dem Projekt handelt es sich um den bereits dritten Versuch der EU, Spannungen und Konflikte im Sahel mit einer stärkeren Militarisierung unter Kontrolle zu bekommen: 2013 hatten die Staaten der EU mit großem Gestus die Ausbildungsoperation EUTM Mali gestartet und die UN-Truppe MINUSMA mit Militärs aus Europa gestärkt; 2017 hatten die Bundesrepublik und Frankreich den Aufbau der „G5 Sahel“-Eingreiftruppe vorangetrieben. Die Konflikte nahmen jedesmal zu; sie haben sich inzwischen von Mali auf andere Länder ausgeweitet und gehen zum Teil in Ethno-Massaker über.

„Ziele verfehlt“

Die neue Sahel-Initiative, die Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Sonntag während des G7-Gipfels angekündigt haben, ist bereits der dritte Anlauf beim Versuch der EU und ihrer beiden Hauptmächte, die Lage im Sahel unter Kontrolle zu bekommen. Der erste begann Anfang 2013, nachdem die französischen Streitkräfte Malis Norden der Kontrolle jihadistischer Milizen entrissen hatten. Die EU startete ihre „Ausbildungsmission“ EUTM Mali, um die malischen Streitkräfte zu trainieren; zudem wurde ein Militäreinsatz der Afrikanischen Union (AU) unter UN-Blauhelmflagge gestellt und um starke Truppen aus der EU, insbesondere auch aus Deutschland, zu MINUSMA für sogenannte Stabilisierungstätigkeiten vor allem in Nordmali erweitert. Zudem operierten rund 3.000 bis 4.000 französische Soldaten im Rahmen der Operation Barkhane im Sahel. Rund viereinhalb Jahre nach Beginn der Intervention, die Berlin und Brüssel wie üblich in Retterpose initiiert hatten, war die Lage in Mali desolater als zuvor. Der Norden und inzwischen sogar das Zentrum des Landes seien „quasi außer Kontrolle“, warnte im September 2017 der Afrika-Experte Roland Marchal vom Centre de recherches internationales an der Pariser Hochschule Sciences Po: „Noch nie gab es ein derartiges Niveau an Gewalt in Mali wie heute.“ Die EU habe ihre Ziele verfehlt.[1]Jens Borchers, Jürgen König: Europas Interessen in der Sahelzone. www.deutschlandfunk.de 17.09.2017. S. dazu Die Militarisierung des Sahel (II). MINUSMA war längst zum tödlichsten UN-Einsatz geworden – mit 133 toten Blauhelmen bis September 2017.

Immer noch nicht voll einsatzfähig

Einen zweiten Anlauf unternahmen Berlin und Paris im Sommer 2017 mit dem Aufbau der neuen Eingreiftruppe der „G5 Sahel“. Bei den G5 Sahel handelt es sich um einen zweckgerichteten Zusammenschluss der fünf Sahelstaaten Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad, der am 16. Februar 2014 gegründet wurde, um die Militäroperationen der EU-Mächte zunächst mit zivilen Mitteln zu begleiten (german-foreign-policy.com berichtete [2]S. dazu Die Militarisierung des Sahel.). Als sich nach vier Jahren westeuropäischer Militäroperationen immer noch kein Ende des Konflikts abzeichnete, drangen Berlin und Paris auf die Gründung einer einheimischen Sahel-Eingreiftruppe, um die Militärs aus der EU zu entlasten. Daraufhin wurde am 2. Juli 2017 der Beschluss zur Gründung der G5 Sahel-Eingreiftruppe mit insgesamt 5.000 Soldaten gefällt. EUTM Mali bildete schon bald zusätzlich zu Soldaten aus Mali auch Militärs aus den anderen G5 Sahel-Staaten aus. Anfang November 2017 wurde der Beginn einer ersten Operation der Eingreiftruppe gemeldet. Allerdings kam der Aufbau der Einheit nicht recht voran. Nach einem Angriff von Jihadisten auf ihr Hauptquartier in Sévaré (Mali) am 29. Juni 2018, bei dem zwei UN-Soldaten starben, stellte die Eingreiftruppe ihre Aktivitäten bis zum Januar 2019 ein. Bis heute stagniert ihre Einsatzfähigkeit bei nur 75 Prozent.

Ethno-Massaker

Dabei hat sich die Lage im Sahel, der als zentrales Einsatzgebiet der EU überhaupt gelten kann, weiter verschlechtert. Laut Angaben der Welternährungsorganisation FAO („Food and Agriculture Organization“) sind dort aktuell 9,7 Millionen Menschen von schwerer Nahrungsunsicherheit bedroht; zwei Millionen Kinder laufen Gefahr, in akute Unterernährung zu geraten.[3] FAO: Sahel: Regional overview. July 2019. Zugleich eskalieren diverse Konflikte; die Gewalt nimmt zu. Am 23. März verübte eine Miliz der Dogon-Sprachgruppe in dem zentralmalischen Ort Ogossagou ein Massaker, bei dem mehr als 160 Angehörige der Sprachgruppe der Peul (auch als Fulani oder Fulbe bekannt) ums Leben kamen (german-foreign-policy.com berichtete [4]S. dazu Ethno-Massaker im Sahel.). Schon längst greifen die mörderischen Konflikte über Mali hinaus und erreichen die Nachbarstaaten. Am 31. März etwa überfielen Angreifer die Stadt Aribinda im Norden von Burkina Faso, ermordeten eine religiöse Führungspersönlichkeit und brachten zudem sechs Angehörige seiner Familie um. Daraufhin eskalierten die Konflikte in der Region; mehr als 60 Menschen kamen zu Tode.[5]May 2019 Monthly Forecast: Group of Five for the Sahel. securitycouncilreport.org 30.04.2019. Schon seit Jahren werden auch Morde oder gar Massaker von Militärs an Zivilisten gemeldet (german-foreign-policy.com berichtete [6]S. dazu Die Menschenrechtslehrer.). Nicht geklärt ist, ob die soldatischen Mörder zu Einheiten gehören, die von EUTM Mali ausgebildet wurden. Beobachter warnen vor einer weiteren Eskalation.

Wie 2013 und 2017

Am Sonntag haben nun Kanzlerin Merkel und Präsident Macron auf dem G7-Gipfel einen dritten Anlauf angekündigt: die Erweiterung der bisherigen Aktivitäten um eine neue „Partnerschaft für Sicherheit und Stabilität im Sahel“. Deutschland und Frankreich führen die „Partnerschaft“ an. Darüber hinaus sollen, wie Merkel in Biarritz erklärte, noch weitere Staaten für eine Mitarbeit gewonnen werden. Zum Jahresende wollen Berlin und Paris schließlich eine Konferenz abhalten, auf der dann ein Arbeitsprogramm verabschiedet werden soll. Inhalt und Ziel der „Partnerschaft“ sind noch recht nebulös. Offenkundig geht es zum dritten Mal seit 2013 um einen starken Ausbau repressiver Aktivitäten; Merkel kündigte jedenfalls an, „die Truppen und die Polizeikräfte der G5-Länder“ sollten jeweils „national gestärkt“ werden.[7]Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel mit dem französischen Präsidenten Macron und dem Präsidenten der Republik Burkina Faso, Kaboré, während des G7-Gipfels in Biarritz. 25.08.2019. Die Entsendung zusätzlicher Soldaten aus Europa sei allerdings nicht vorgesehen. Macron kündigte ohne weitere Erläuterung an, es würden auch neue Finanzmittel bereitgestellt. Zum Hintergrund räumte die Bundeskanzlerin ein, man sei „nicht in der Situation, dass wir sagen könnten, die Sicherheitslage verbessere sich“. Parallelen zu Äußerungen aus den Jahren 2013 und 2017, mit denen jeweils der nächste Schritt zur weiteren Militarisierung des Sahel begründet wurde, sind nicht zu überhören.

Wie in Afghanistan

Tatsächlich erinnert die Entwicklung in Mali immer stärker an diejenige in Afghanistan. Auch dort kündigen die westlichen Truppen, die in diesem Fall zum guten Teil von der NATO gestellt werden, in regelmäßigen Abständen an, nun ein neues Konzept gefunden zu haben, mit dem sich die Dinge zum Besseren wenden ließen. Ebenso regelmäßig erweist sich dies als unzutreffend; vielmehr verlängern die Militäroperationen lediglich einen brutalen Krieg, der mit Waffengewalt offenkundig nicht gewonnen werden kann. Wegen der stetigen Gewalteskalation ist Mali in der Vergangenheit immer wieder mit Afghanistan verglichen worden.[8]S. dazu Wie in Afghanistan (II). Die Parallelen zeigen sich freilich auch in der Methodik: im Versuch, mit einer stets neuen Militarisierung das Ruder doch noch herumzureißen. Bislang war freilich kein derartiger Versuch von Erfolg gekrönt.

German Foreign Policy | 28.08.2019

„Ein dritter Anlauf im Sahel“

Fußnoten

Fußnoten
1Jens Borchers, Jürgen König: Europas Interessen in der Sahelzone. www.deutschlandfunk.de 17.09.2017. S. dazu Die Militarisierung des Sahel (II).
2S. dazu Die Militarisierung des Sahel.
3 FAO: Sahel: Regional overview. July 2019.
4S. dazu Ethno-Massaker im Sahel.
5May 2019 Monthly Forecast: Group of Five for the Sahel. securitycouncilreport.org 30.04.2019.
6S. dazu Die Menschenrechtslehrer.
7Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel mit dem französischen Präsidenten Macron und dem Präsidenten der Republik Burkina Faso, Kaboré, während des G7-Gipfels in Biarritz. 25.08.2019.
8S. dazu Wie in Afghanistan (II).