In einem Gastkommentar in der NZZ liefert Tobias Pietz von dem in Berlin ansässigen Zentrum für Internationale Friedenseinsätze Argumente gegen eine Neuauflage von EUNAVFOR Med – Operation Sophia, für die sich Angela Merkel ausgesprochen hat. Stattdessen brauche es eine reine staatlich organisierte Seenotrettungsmission im Stile des Einsatzes „Mare Nostrum“, den Italien 2013-14 im Mittelmeer im Alleingang durchgeführt hatte. Diese Mission könnten diejenigen Staaten gemeinsam umsetzen, die aktuell das größte Interesse an einer funktionierenden Seenotrettung. Eine solche Mission „wäre auch eine gute Gelegenheit, sich im Nachhinein bei Italien zu entschuldigen, dass man es seit 2014 im Stich gelassen hat“.

Europa braucht ein zweites, diesmal ein europäisches «Mare Nostrum», bei dem diejenigen Mitgliedsstaaten mitmachen sollen, die nicht einfach nur zuschauen wollen.

Die Marinemission der EU im Mittelmeer (Eunavfor Med) hat Ausserordentliches geleistet mit der Rettung von knapp 49 000 Menschen. Im aktiven Mandatszeitraum der Mission haben die italienische Küstenwache und humanitäre Organisationen mit je über 100 000 Geretteten jedoch die Hauptlast getragen. Das ist nicht verwunderlich, war doch die Seenotrettung nicht Teil des Mandats der Mission, sondern eine internationale rechtliche Verpflichtung für alle Schiffe auf hoher See. Die zentrale Aufgabe der Marinemission war die Bekämpfung von Schleusern, damit hatte sie aber nur mässigen Erfolg, da die Netzwerke der Schleuser kaum eingeschränkt wurden und meist nur die Boote der Schleuser (insgesamt 500) von der Mission zerstört wurden. […]

Eunavfor Med war ursprünglich auch auf Druck der damaligen italienischen Regierung verabschiedet worden. […] Dabei war von Anfang an umstritten, ob eine militärische EU-Mission das richtige Mittel sei, um Schleuser zu bekämpfen und die Küstenwache in einem zersplitterten Bürgerkriegsland zu ertüchtigen.

Das Training von und die Kooperation mit der libyschen Küstenwache durch die Mission hat sich tatsächlich als sehr ambivalent erwiesen: Mangelnde Ressourcen und Expertise sowie teilweise auch fehlender Willen führten dazu, dass die libysche Küstenwache eben nicht effizient Menschenleben rettet. Und wenn sie Menschen auf hoher See rettet (oder Gerettete von anderen Akteuren übergeben bekommt), dann landen diese viel zu oft in Lagern in Libyen, in denen sie misshandelt oder sogar gefoltert werden.

Die Zeiten von «Mare Nostrum» waren vergleichsweise weniger gefährlich, um über das Mittelmeer zu fliehen: Im Einsatzzeitraum ertranken knapp 4 von 1000 Geflüchteten im Mittelmeer, seit der Einstellung von «Mare Nostrum» erhöhte sich diese Zahl auf 24 von 1000 Personen bis Ende 2018. […]

Eine Wiederauflage von Operation Sophia / Eunavfor Med wird es nicht mehr geben, es wäre aber auch das falsche Instrument. Eine EU-Mission im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sollte nicht für hart umkämpfte innenpolitische Themen wie Flucht und Migration genutzt werden. Die europäische Grenzschutzagentur Frontex in Kooperation mit nationalen Küstenwachen wäre die bessere Antwort für beides: sowohl die Verfolgung und Anklage von Schmugglern als auch eine erfolgreiche Seenotrettung. Aber auch hier gestalten sich Kompromisse mit allen Mitgliedsstaaten derzeit schwierig.

Stattdessen braucht Europa ein zweites, diesmal europäisches «Mare Nostrum», bei dem die Mitgliedsstaaten mitmachen, die nicht mehr zuschauen wollen – und die auch dem unwürdigen Feilschen um die Aufnahme der (gegenwärtig sehr wenigen) Geretteten mit einem klaren Übereinkommen und einem Verteilungsschlüssel ein Ende bereiten wollen. Es wäre auch eine gute Gelegenheit, sich im Nachhinein bei Italien zu entschuldigen, dass man es seit 2014 im Stich gelassen hat.

NZZ | 21.08.2019

„Ein europäisches ‚Mare Nostrum‘ statt Operation Sophia 2.0“