Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigt die Ausweitung der deutschen Militäraktivitäten im Sahel an. Wie Merkel auf ihrer Reise in die Region mitteilte, die am Mittwoch in Burkina Faso begann und nach einem Truppenbesuch im nordmalischen Gao am heutigen Freitag in Niger zu Ende geht, wird die Bundeswehr zusätzlich zu ihrer bisherigen Präsenz im Sahel eine weitere Beratergruppe nach Burkina Faso entsenden. Zudem soll die EU die „G5 Sahel“-Eingreiftruppe intensiver als bisher unterstützen. In Berlin wird zudem über eine Schwerpunktverlagerung der UN-Truppe MINUSMA, an der Deutschland mit 850 Soldaten beteiligt ist, aus Nord- nach Zentralmali diskutiert. Hintergrund ist, dass sich im einst ruhigen Zentrum des Landes die Sicherheitslage dramatisch verschlechtert. Zuletzt waren diverse Massaker an Angehörigen der Sprachgruppe der Peul zu beklagen, an denen teils auch die malischen Streitkräfte beteiligt waren. Die Massaker greifen mittlerweile nach Burkina Faso über. Experten warnen vor einer Eskalation der Kämpfe zu einem ausgewachsene Ethno-Krieg.

Einsatz in Malis Norden

Gut sechs Jahre nach dem Beginn des Bundeswehreinsatzes in Mali verschlechtert sich die Situation dort immer mehr. Die UN-Truppe MINUSMA, die überwiegend im Norden des Landes im Einsatz ist, wo sie vor allem die Einhaltung des Waffenstillstands zwischen den dortigen Bürgerkriegsparteien überwachen soll, ist mittlerweile auf annähernd 15.500 Soldaten und Polizisten angewachsen. Die Bundeswehr stellt derzeit fast 850 Soldaten, die beinahe alle in Gao am östlichen Nigerbogen stationiert sind. MINUSMA gilt als der mit Abstand gefährlichste Einsatz unter UN-Flagge; die Truppe verzeichnet inzwischen knapp 200 Todesopfer, rund die Hälfte aller im Einsatz verstorbenen UN-Blauhelme überhaupt. Dabei ist MINUSMA, wie unlängst die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) bestätigte, in der Bevölkerung recht unbeliebt – nicht zuletzt, wie die SWP erklärt, wegen ihrer „Passivität“, das heißt, weil ihr „die eigene Sicherheit wichtiger ist als der Schutz der Zivilbevölkerung“. Tatsächlich werden rund 80 Prozent der militärischen Ressourcen benötigt, um „die Sicherung der eigenen Infrastruktur und der Konvois“ zu gewährleisten, „auf die die Mission angewiesen ist, um ihre Basen zu versorgen“.[1]Denis M. Tull: VN-Peacekeeping in Mali. Anpassungsbedarf für das neue Minusma-Mandat. SWP-Aktuell Nr. 23. Berlin, April 2019.

Kämpfe in Malis Zentrum

Dabei verschlechtert sich die Sicherheitslage seit geraumer Zeit vor allem im Zentrum des Landes, das bei Beginn des Bundeswehreinsatzes im Jahr 2013 noch nicht von bewaffneten Auseinandersetzungen erfasst worden war. Insbesondere die Region um die zentralmalische Stadt Mopti wird zunehmend von Massakern erschüttert. Hintergrund sind traditionelle Konflikte zwischen Bauern und Hirten um knappes Acker- bzw. Weideland, die sich in den vergangenen Jahren wegen zunehmender Trockenheit zugespitzt haben. Dabei gehören die Hirten überwiegend der Sprachgruppe der Peul (auch: Fulani/Fulbe) an, die in Mali in der Minderheit und zuweilen staatlicher Diskriminierung ausgesetzt ist. Seit 2015 ist zu beobachten, dass Jihadisten mit Erfolg einzelne Angehörige der Peul rekrutieren. Andere Sprachgruppen beschuldigen die Peul seitdem in ihrer Gesamtheit, gemeinsame Sache mit den Jihadisten zu machen, bilden Milizen und greifen Peul-Gruppen und -Dörfer an. In dem eskalierenden Konflikt beziehen auch Malis Streitkräfte häufig gegen die Peul Position.[2]S. dazu Die Menschenrechtslehrer.

Massenmorde

Dabei sind zunehmend ethnisch motivierte Massenmorde zu beklagen – auch durch Malis Streitkräfte, die nicht zuletzt von deutschen Soldaten im Rahmen von EUTM Mali trainiert werden; aktuell sind fast 170 Bundeswehrsoldaten im Rahmen von EUTM Mali aktiv. Im Juni 2018 führten malische Militärs unweit von Mopti eine Razzia durch, nahmen dabei gezielt Angehörige der Peul-Sprachgruppe fest und verschleppten 25 von ihnen. Alle 25 wurden nur wenig später in drei Massengräbern erschossen aufgefunden (german-foreign-policy.com berichtete [3]S. dazu Die Menschenrechtslehrer.). In den vergangenen Monaten haben die Mordbrennereien in der Gegend um Mopti weiter zugenommen. So wurden am 1. Januar mindestens 37 Peul in dem Ort Koulogon südöstlich von Mopti von einer Miliz einer anderen Sprachgruppe massakriert. Am 23. März brachte eine weitere Miliz mindestens 160 Peul, darunter zahlreiche Kinder, in dem Ort Ogossagou ebenfalls südöstlich von Mopti um und brannte die Gebäude des Dorfs nieder.[4]Jean-Hervé Jezequel: Centre du Mali: enrayer le nettoyage ethnique. crisisgroup.org 25.03.2019. Insgesamt sind laut Angaben der Vereinten Nationen im vergangenen Jahr rund 600 Menschen in der Region getötet worden, aus der sich die staatlichen Behörden immer mehr zurückziehen; lediglich 30 bis 40 Prozent der Territorialverwaltung sind noch präsent. Beobachter warnen vor dem Übergang zu einem ausgewachsenen Ethno-Krieg.

Über die Grenze

Die Kämpfe greifen längst über Malis Grenzen zu Burkina Faso und zum Niger hinaus. So wird aus der Region im Norden Burkina Fasos unweit der Grenze zu Mali von „mörderischer Stigmatisierung“ der Peul berichtet. Hintergrund ist auch dort der – unzutreffende – Vorwurf, die Peul machten kollektiv gemeinsame Sache mit Jihadisten. Ganz wie in Mali bilden sich Milizen anderer Sprachgruppen, die Peul-Ortschaften überfallen und Einwohner in hoher Zahl ermorden. So schlachteten Milizen im Januar 2019 in verschiedenen Orten bei Yirgou im Norden von Burkina Faso laut Berichten Dutzende, möglicherweise sogar um die 200 Peul ab.[5]Sophie Douce: Au Burkina Faso, les Peuls victimes d’une stigmatisation meurtrière. lemonde.fr 04.02.2019. Im Februar „neutralisierten“ die burkinischen Streitkräfte dann nach einem Angriff tatsächlicher oder vermeintlicher Jihadisten, dem 14 Menschen zum Opfer gefallen waren, laut eigenen Angaben 146 „Terroristen“ nahe der Ortschaft Kain unweit der Grenze zu Mali. Recherchen der burkinischen Menschenrechtsorganisation „Mouvement burkinabè des droits de l’Homme et des peuples“ (MBDHP) ergaben, dass 60 der „neutralisierten“ Personen Einwohner verschiedener Dörfer der Region waren, die willkürlich exekutiert worden waren. Einen Großteil der Menschen, die die Militärs umgebracht hatten, konnte das MBDHP anhand ihrer Namen als Angehörige der Peul identifizieren.[6]Burkina: Le MBDHP Dénonce Des Exécutions Sommaires À Kain. djamanainfo.net 14.03.2019. Das MBDHP warnt nun vor einer unkontrollierbaren Eskalation ethnischer Gemetzel.

Schwerpunktverlagerung

Mit Blick auf die katastrophale Entwicklung wird in Berlin jetzt über eine Verlagerung des MINUSMA-Einsatzschwerpunkts aus Malis Norden in das Zentrum des Landes diskutiert. Es sei „sinnvoll, das militärische Engagement im nördlichen Sektor zugunsten eines stärkeren Engagements in der Region Mopti zu reduzieren“, heißt es etwa bei der SWP – schließlich sei „der militärische Teil der Mission … in Zentralmali bislang kaum präsent“.[7]Denis M. Tull: VN-Peacekeeping in Mali. Anpassungsbedarf für das neue Minusma-Mandat. SWP-Aktuell Nr. 23. Berlin, April 2019. Allerdings räumt die SWP ganz offen ein, dass MINUSMA auch in Malis Norden „die Verschlechterung der Sicherheitslage, die allenthalben konstatiert wird, nur drosselt, aber nicht stoppt“.

Deutschlands Militärpräsenz

Unabhängig davon hat Bundeskanzlerin Angela Merkel angekündigt, die militärische Präsenz Deutschlands und der EU im Sahel weiter zu verstärken. So sollen die Außen- und Verteidigungsminister der Union bei ihrem Zusammentreffen mit ihren Amtskollegen aus der „G5 Sahel“ (Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger, Tschad) am 15. Mai neue Maßnahmen zur Unterstützung der „G5 Sahel“-Eingreiftruppe [8]S. dazu Die Militarisierung des Sahel und Die Militarisierung des Sahel (III). beschließen. Zudem stellt Berlin zehn Millionen Euro für die Ausstattung von Polizei und Gendarmerie Burkina Fasos bereit. In das Land wird die Bundeswehr darüber hinaus eine „Beratergruppe“ entsenden, die burkinische Militärs schulen soll.[9]Helene Bubrowski: Auf der Suche nach einem besseren Leben. Frankfurter Allgemeine Zeitung 03.05.2019.

Schon jetzt ist die Bundeswehr zusätzlich zu ihrer Beteiligung an MINUSMA und EUTM Mali mit einem Stützpunkt am Flughafen der nigrischen Hauptstadt Niamey präsent, auf dem rund 70 deutsche Soldaten stationiert sind; er dient insbesondere als Umschlagplatz für den MINUSMA-Einsatz in Nordmali. Hinzu kommen Beteiligungen an den nichtmilitärischen Einsätzen EUCAP Sahel Mali und EUCAP Sahel Niger, die vor allem dem Training von Polizei und Gendarmerie gewidmet sind. Die Dichte der deutschen Polizei- und Militärpräsenz im Sahel nimmt, während die Kämpfe eskalieren, kontinuierlich zu.

German Foreign Policy | 03.05.2019

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Wo ist die Bundeswehr in der Sahel-Zone aktiv?

[…] Die Sicherheit und die Stabilisierung der Sahel-Region ist in den vergangenen Jahren zu einem Schwerpunkt der deutschen Afrika-Politik geworden. Deutschland ist in Westafrika an mehreren militärischen Missionen beteiligt und Mitglied der entwicklungspolitischen „Sahel-Allianz“. […] 

Die Sicherheit und die Stabilisierung der Sahel-Region ist in den vergangenen Jahren zu einem Schwerpunkt der deutschen Afrika-Politik geworden. Deutschland ist in Westafrika an mehreren militärischen Missionen beteiligt und Mitglied der entwicklungspolitischen „Sahel-Allianz“. […] 

Regionale Einsatztruppe der G5-Sahelstaaten

Künftig sollen die Missionen in Mali auch mit der neuen regionalen Einsatztruppe der G5-Sahel-Staaten zusammenarbeiten. Deutsche Soldaten können dann auch in Niger, Mauretanien und im Tschad eingesetzt werden, um dort Beratung und Ausbildung anzubieten. Geplant sind hier logistische Hilfen beim Aufbau von Infrastruktur sowie Unterstützung mit Verbrauchsgütern und beim Verwundetentransport innerhalb des Landes.

Aufgrund zunehmender islamistischer Angriffe und der prekären Sicherheitslage in der Region haben die fünf Sahel-Staaten Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad den Aufbau einer gemeinsamen Militärtruppe für den Kampf gegen Terrorismus und gegen organisierte Kriminalität vereinbart. Drei operative Einheiten einer insgesamt 5.000 Personen starken geplanten Einsatztruppe sind seit Oktober 2017 im Grenzdreieck von Burkina Faso, Mali und Niger aktiv. […]

Dlf | 02.05.2019

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Unterm Radar: Bundeswehreinsätze in Mali und Somalia

[…] Zwei besonders wichtige Auslands­einsätze der deutschen Armee finden in Afrika statt, in Mali und vor der Küste Somalias. Anfang April hat die Bundesregierung das Mandat für ­beide Einsätze um ein weiteres Jahr verlängert. Die Zustimmung des ­Bundestags steht noch aus, ist aber nur eine Formalität. Besonders die Mission in Mali ist mit bis zu 1.100 deutschen Soldaten bedeutend. Die Verlängerung des Einsatzes soll der Bundesregierung zufolge 314 Millionen Euro kosten.

Seit 2013 sind deutsche Soldaten in Mali stationiert. Sie sind Teil der »Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali« (Minusma), die insgesamt 11.000 Soldaten umfasst. Minusma ist mit bisher 191 Toten auf Seiten der ­UN-Truppen einer der gefährlichsten UN-Einsätze weltweit. Die meisten ­Soldaten werden von westafrikanischen Staaten und von Bangladesh gestellt. Die Bundeswehr ist kaum an Kampfhandlungen beteiligt und übernimmt vor allem Aufklärungsarbeit, unter ­anderem mit der von Israel geleasten Drohne »Heron 1«. Bisher kamen zwei deutsche Soldaten zu Tode, als sie mit einem Hubschrauber abstürzten; die Ursache war ein Wartungsfehler.

Das Kämpfen übernimmt vor allem die französische Armee, die im Zuge der Mission Barkhane mit 3.000 Soldaten im gesamten Sahel-Raum gegen Aufständische und Terrorgruppen vorgeht. Auch das Nachbarland Niger ist strategisch bedeutend. Es ist die Hauptquelle für das Uran, mit dem franzö­sische Atomkraftwerke betrieben werden – und ein Knotenpunkt der Migra­tionsroute von Westafrika nach Libyen.

Die UN-Mission in Mali geht inzwischen in ihr sechstes Jahr. Dennoch hat sich die Sicherheitslage zuletzt wieder verschlechtert. Mali ist dreimal so groß wie Deutschland, grenzt an die Sahara und ist eines der ärmsten Länder der Welt. Besonders der spärlich besie­delte Norden des Landes kann kaum von der Regierung kontrolliert werden. […]

Anfang April hat die EU-Kommission weitere 115 Millionen Euro für die G5 Sahel bewilligt. Die Mittel stammen aus dem EU Emergency Trust Fund for Africa und werden vor allem für die Migrationskontrolle in der Sahel-Region aufgewendet, in Niger etwa, aber auch in Libyen. Die Bekämpfung der »Schlepperkriminalität«, also der Migration, hat für Europa oberste Priorität. Zehn Millionen Euro fließen aber auch an die militärischen Organe der G5 Sahel.

Die militärische Rolle der Bundeswehr in Mali ist klein; der Einsatz bietet vor allem eine Möglichkeit, sich international zu profilieren und Bündnis­treue zu Frankreich zu beweisen. Die Mission in Mali ist ein Beispiel für die strategische Normalität, die in der deutschen Außenpolitik seit langem herbeigesehnt und oft mit dem Slogan »mehr Verantwortung übernehmen« umschrieben wird. Auch bietet sie die Gelegenheit, weitere Erfahrungen in der irregulären Kriegsführung zu sammeln. […]

jungle world | 24.04.2019

 

„Ethno-Massaker im Sahel“

Fußnoten

Fußnoten
1, 7Denis M. Tull: VN-Peacekeeping in Mali. Anpassungsbedarf für das neue Minusma-Mandat. SWP-Aktuell Nr. 23. Berlin, April 2019.
2, 3S. dazu Die Menschenrechtslehrer.
4Jean-Hervé Jezequel: Centre du Mali: enrayer le nettoyage ethnique. crisisgroup.org 25.03.2019.
5Sophie Douce: Au Burkina Faso, les Peuls victimes d’une stigmatisation meurtrière. lemonde.fr 04.02.2019.
6Burkina: Le MBDHP Dénonce Des Exécutions Sommaires À Kain. djamanainfo.net 14.03.2019.
8S. dazu Die Militarisierung des Sahel und Die Militarisierung des Sahel (III).
9Helene Bubrowski: Auf der Suche nach einem besseren Leben. Frankfurter Allgemeine Zeitung 03.05.2019.