Der Zusammenstoß zweier französischer Helikopter gestern wirft ein neues Licht auf die EU-Militäreinsätze im Sahel. Einer der beiden Hubschrauber fungierte als fliegende Einsatzzentrale eines laufenden Barkhane-Einsatzes mit zwei Mirage-Kampffliegern, einem weiteren Hubschrauber und französischen Bodentruppen. Bei den 13 Toten handelt es sich um sechs Offiziere und sechs Unteroffiziere, die anscheinend zum Teil Söhne aus Familien der französischen politischen Klasse sind, und einen französischen Kommandanten der Fremdenlegion. Die Absturzgegend ist von den dortigen nationalen Militärs vor ungefähr zwei Wochen aufgegeben worden.

Auf Telepolis heißt es heute:

Auch aktuell ist die Situation gekennzeichnet von Undurchsichtigkeit, auffallend ist lediglich die verstärkte Präsenz der Dschihadisten trotz der Operation Barkhane. Hinter den Anschlägen, die kurz für Schlagzeilen sorgen, bleibt verborgen, wie das politische Gelände aussieht und die Möglichkeiten mit anderen als militärischen Mitteln für Veränderungen zum Besseren zu sorgen.

Die Kollision der beiden Armeehubschrauber bei einem Einsatz gegen den IS trug sich offenbar nur 20 Kilometer von Indelimane entfernt zu. Der Ort nahe der Grenze zu Niger wurde Anfang November einer größeren Öffentlichkeit auch hierzulande bekannt, weil Dschihadisten einen Stützpunkt der malinesischen Armee überfielen und dabei „mehr als 50 Soldaten getötet“ wurden.

Der Absturz wird als „Überforderung“ gedeutet, die Forderung nach deutscher Unterstützung erneuert. Jedoch herrscht seit gestern außer formalen Beileidsbekundungen außerhalb Frankreichs ein lautes Schweigen zum militärischen Sahel-Einsatz. In einem Kommentar in der Tageszeitung „La Vanguardia“ ist von einer „geopolitischen Falle“ die Rede: kein Sieg möglich und Rückzug nur unter Gesichtsverlust. Eine Exit-Option scheint in Frankreich gegenwärtig nicht diskutiert zu werden. Ein entsprechender Vorschlag von Jean-Luc Mélenchon (La France Insoumise) stößt auf Unverständnis.

Erstmals seit dem algerischen Unabhängigkeitskrieg taucht das Tabu-Wort  „antisubversiv“ in der französischen Presse wieder auf, also das Konzept einer umfassenden Aufstandsbekämpfung. Das wahre Problem scheint zu sein, dass sich die lokale Bevölkerung gegen die französischen Soldaten gekehrt hat und auch die diversen nationalen Militärs den französischen Kommandos nicht mehr folgen wollen. Am 15.11.2019 hat der burkinesische Armeechef Moïse Miningou Frankreich verboten, „unbekannte Flugobjekte“ nach Burkina Faso zu schicken. Jedes Flugzeug, jeder Hubschrauber oder jede Drohne würden als „feindliches“ Objekt behandelt werden, wenn der Flug nicht 48 Stunden vorher angekündigt und genehmigt worden sei.

Mit Blick auf die geplante „Opération Tacouba“ berichtet German Foreign Policy  unter dem Titel Deutschlands Interventionsbilanz (II)  über die Militäreinsätze der EU in Mali.

BAMAKO/BERLIN/PARIS (Bericht German Foreign Policy) – Die Bundesregierung bereitet einen zusätzlichen Einsatz der Bundeswehr in Mali vor. Ziel ist die Beteiligung an einer von Frankreich geplanten Operation („Opération Tacouba“), in deren Rahmen europäische Spezialkräfte Sondereinheiten aus Mali ausbilden sollen. Perspektivisch ist eine Ausweitung auf weitere Sahel-Staaten geplant. Schon jetzt trainieren Kampfschwimmer der deutschen Marine nigrische Sondereinheiten. Die Opération Tacouba geht allerdings insofern darüber hinaus, als in ihrem Rahmen die Spezialkräfte aus Europa die malischen Militärs in Kampfeinsätze begleiten sollen. Tacouba wäre neben dem französischen Kampfeinsatz „Opération Barkhane“ mit gut 4.000 Soldaten, an dem sich zunehmend Einheiten aus weiteren europäischen Ländern beteiligen, neben dem EU-Ausbildungseinsatz EUTM Mali (620 Soldaten) und der UN-Operation MINUSMA (rund 13.300 Soldaten, beinahe 2.000 Polizisten) das vierte Interventionsformat. Die Bilanz des Krieges ist desolat: Die Kämpfe nehmen seit Jahren zu und haben sich längst vom Norden auf das Zentrum Malis und auf die Nachbarländer ausgedehnt.

Die Destabilisierung schreitet voran

Beinahe sieben Jahre nach dem Beginn des europäischen Militäreinsatzes in Mali setzt sich die scheinbar unaufhaltsam voranschreitende Destabilisierung der gesamten Sahelregion fort.[1] Auch im zu Ende gehenden Jahr habe sich „die Sicherheitslage verschlechtert“, heißt es in einer aktuellen Einschätzung aus den Vereinten Nationen; vor allem in den vergangenen Wochen sei eine spürbare Zunahme verheerender Angriffe von Jihadisten zu verzeichnen gewesen.[2] So wurden am 30. September 38 malische Militärs bei koordinierten Attacken auf zwei Armeestützpunkte getötet. Am 1. November kamen mindestens 53 Soldaten und ein Zivilist bei einem Anschlag auf eine weitere Truppenbasis ums Leben. Der nächste Anschlag folgte am 18. November; dabei wurden wohl mindestens 30 Angehörige der malischen Streitkräfte umgebracht. Zusätzlich kommt es zu einer steigenden Zahl mörderischer Anschläge im angrenzenden Burkina Faso. Dort fielen schon am 19. August 24 Soldaten einem Angriff zum Opfer. 39 Menschen starben am 6. November bei einem Attentat auf einen Konvoi, der Arbeiter der kanadischen Bergbaufirma Semafo transportierte. Semafo fördert in Westafrika Gold.

Klimawandel als Kriegsursache

Auch in Mali selbst hat sich das Kampfgebiet längst ausgeweitet. Konzentrierte sich der Krieg in seinen ersten Jahren weitestgehend auf den Norden des Landes, so hat er mittlerweile auch dessen Zentrum erfasst. Insbesondere im Gebiet um die zentralmalische Stadt Mopti kommt es immer wieder zu heftigen bewaffneten Auseinandersetzungen bis hin zu Massakern. Hintergrund sind vor allem Spannungen, die ihre Ursache in zunehmender, durch den globalen Klimawandel bedingter Trockenheit haben, die das verfügbare Acker- und Weideland deutlich reduziert, was wiederum Konflikte zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern eskalieren lässt. In der Region um Mopti sind laut Angaben von Hilfsorganisationen inzwischen rund die Hälfte aller Dörfer von schrumpfenden Feld- und Weideflächen betroffen.[3] Hätte der primär ökonomische Konflikt um knapp werdende Ressourcen zu Beginn noch durch wirtschaftliche Unterstützungsprogramme eingehegt werden können, so ist er – der Schwerpunkt der europäischen Maßnahmen liegt ja auf militärischem Feld – mittlerweile zu blutigen Kämpfen eskaliert. Jihadistischen Organisationen ist es dabei gelungen, ihren Operationsradius auf Zentralmali auszuweiten. Der Krieg rückt damit systematisch in Richtung Süden vor (german-foreign-policy.com berichtete [4]).

Die Eingreiftruppe der „G5 Sahel“

Führende Kräfte beim Krieg in Mali sind weiterhin Frankreich und Deutschland. Frankreich hat rund 4.000 Soldaten in der Sahelzone stationiert („Opération Barkhane“), die dort Kampfeinsätze insbesondere gegen Jihadisten führen. Deutschland stellt Soldaten für EUTM Mali, einen EU-Einsatz, der dem Training der malischen Streitkräfte dient und zu dem zur Zeit rund 150 Soldaten der Bundeswehr abgestellt sind. Mit knapp 900 weiteren beteiligt sich die Bundesrepublik an MINUSMA, der UN-Operation, die in Malis Norden die Lage stabilisieren soll. Wenngleich sich die Situation im Sahel nicht verbessert, sondern bisher stets verschlechtert, setzen die EU-Mächte zunehmend auf das Militär. Im Sommer 2017 – dem fünften Jahr des Waffengangs – begannen Deutschland und Frankreich, eine insgesamt 5.000 Soldaten starke Eingreiftruppe der „G5 Sahel“ aufzubauen; bei den „G5 Sahel“ handelt es sich um einen lockeren Zusammenschluss von Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad.[5] Ziel war es nicht zuletzt, die französische Opération Barkhane zu entlasten. Doch kommt der Aufbau der „G5 Sahel“-Eingreiftruppe nur schleppend voran. Zwar hat der Truppenverband zuletzt die Anzahl seiner Operationen steigern können – auf fünf seit Mai 2019. Doch klagen die fünf Sahel-Staaten, dass die vor allem von EU-Mitgliedern und von reichen arabischen Ländern zugesagten Unterstützungsgelder – alles in allem 400 Millionen US-Dollar – bis auf wenige Ausnahmen noch nicht eingetroffen sind. So wird von langen Verzögerungen bei den Überweisungen aus Brüssel berichtet. Saudi-Arabien, das 100 Millionen US-Dollar versprochen hatte, hat, wie es heißt, noch gar nichts gezahlt.[6]

Die Europäisierung der Opération Barkhane

Frankreich hat, um seine Streitkräfte zu entlasten und Geld zu sparen, wegen der schleppenden Entwicklung der „G5 Sahel“-Eingreiftruppe inzwischen begonnen, Truppen anderer europäischer Staaten in die Opération Barkhane einzubeziehen. Zusätzlich zu punktueller Unterstützung durch einige EU-Staaten, darunter Deutschland, beim Lufttransport hat Großbritannien im Juli 2018 drei Transporthubschrauber in den französischen Einsatz nach Mali entsandt.[7] Wenig später folgten knapp 50 estnische Soldaten.[8] In Tallinn hieß es, ihre Entsendung sei eine Gegenleistung für Frankreichs Beteiligung an der Stationierung eines NATO-Bataillons in Estland. Im Oktober 2019 hat zudem das dänische Parlament beschlossen, zwei Transporthubschrauber sowie bis zu 70 Soldaten zur Beteiligung an der Opération Barkhane nach Mali zu schicken – noch dieses Jahr.[9] Im Prinzip entspricht die Einbindung weiterer europäischer Streitkräfte in die Opération Barkhane den französischen Plänen für die Initiative européenne d’intervention – den sukzessiven Aufbau einer europäischen Streitmacht durch praktische Kooperation nicht zuletzt im Einsatz.[10]

„Gegen Terror und Migration“

Im Juni dieses Jahres hat Paris einen nächsten Schritt unternommen und weiteren EU-Staaten die Entsendung von Spezialkräften nach Mali nahegelegt. Es gehe darum, erklärte die französische Verteidigungsministerin Florence Parly, „zwei Damoklesschwerter über dem Kopf Europas“ zu bekämpfen: „Terrorismus und illegale Migration“.[11] Ziel ist es, in Mali Sondereinheiten vor Ort zu trainieren und sie dann auch in ihre ersten Kampfeinsätze zu begleiten. Der Einsatz soll „Opération Tacouba“ heißen. „Tacouba“ entstammt der Sprache der Touareg und bedeutet „Säbel“. Äußerungen aus Paris ist zu entnehmen, dass die Operation zwar in Mali beginnen, perspektivisch aber auf weitere Sahel-Staaten ausgedehnt werden soll.[12] Mitte November hat Estland als erstes EU-Mitglied offiziell angekündigt, in der zweiten Hälfte kommenden Jahres Spezialkräfte nach Mali zu entsenden, um die Opération Tacouba zu unterstützen.[13] Paris wartet auf weitere Zusagen.

Spezialkräfte für den Sahel

Die Bundesregierung hat eine deutsche Beteiligung in Aussicht gestellt. Bereits jetzt sind deutsche Spezialkräfte – Kampfschwimmer der Marine – im Niger im Einsatz, um nigrische Sondereinheiten auszubilden. Für die „Operation Gazelle“ liegt kein Mandat des Deutschen Bundestages vor.[14] Allerdings begleiten die deutschen Spezialkräfte im Rahmen der Operation Gazelle die nigrischen Sondereinheiten nicht in den Einsatz. Genau das ist aber bei der Opération Tacouba geplant. Damit sind erhebliche Gefahren auch für die deutschen Soldaten verbunden – ganz wie bei ähnlichen Maßnahmen in Afghanistan. Berichte über Berliner Pläne für die deutsche Beteiligung an Tacouba sprechen von einem „Kontingent von bis zu 500 Soldaten“.[15] Erläuterungen, wieso eine erneute Aufstockung der europäischen Truppen in Mali eine Wende in einem Krieg bringen soll, der durch die Militarisierung der Region in den vergangenen Jahren nur verschlimmert wurde, liegen nicht vor.

[1] S. dazu Die Militarisierung des Sahel (II) und Ein dritter Anlauf im Sahel.

[2] Serious concerns over Sahel, require „urgent action“: Senior UN Africa official. news.un.org 20.11.2019.

[3] Central and Northern Mali Emergency Response. Situation Report. October 2019. reliefweb.int 31.10.2019.

[4] S. dazu Ethno-Massaker im Sahel.

[5] S. dazu Ein dritter Anlauf im Sahel.

[6] Sahel: le financement et les failles du G5 Sahel en discussion à l’ONU. rfi.fr 21.11.2019.

[7] Jean-Dominique Merchet: Sahel: six mois pour déployer trois Chinook… lopinion.fr 19.07.2019.

[8] Estonian infantry unit to deploy to Mali in August. news.err.ee 27.07.2019.

[9] Fergus Kelly: Denmark parliament approves deployments to Barkhane and MINUSMA in the Sahel. thedefensepost.com 24.10.2019.

[10] S. dazu Die Koalition der Kriegswilligen (II).

[11] Sophie Louet: Amid Sahel violence, France seeks more European special forces. af.reuters.com 13.06.2019.

[12] France: la ministre des Armées annonce la mort d’un chef jihadiste au Mali. rfi.fr 06.11.2019.

[13] Fergus Kelly: Estonia special forces to join France-led Takuba mission in Mali, defense ministry says. thedefensepost.com 13.11.2019.

[14] Carsten Hoffmann: Kommandosoldaten auf Ausbildungsmission – Programme in vier Staaten. dbwv.de 13.05.2019.

[15] Matthias Gebauer, Konstantin von Hammerstein, Gerald Traufetter: Schickt Kramp-Karrenbauer Spezialkräfte nach Mali? spiegel.de 15.11.2019.

EU-Militär in Mali