Those people who die on the beaches (…) and if they were White the whole world would be trembling. (…) When the poor come to you, it’s a crush movement which has to be blocked, but when you with your passport and all the arrogance what that brings, you disembark in the third world and you are on conquered land. So you see the poor who move but you do not see the rich who invest in our countries. (…) We must end this hypocrisy: We will be rich together or we will all drown together. (Fatou Diome)

Die Bürgermeisterin der süditalienischen Insel Lampedusa, Giuseppina Nicolini, und die Hilfsorganisation SOS Méditerranée sind für ihren Einsatz für Flüchtlinge mit dem UNESCO-Friedenspreis ausgezeichnet worden. In Barcelona haben in Februar 160 000 Menschen für die Aufnahme von Flüchtigen demonstriert und am Hafen der Toten im Mittelmeer gedacht. In Marseille gab es auf einer Wahlveranstaltung eine Schweigeminute mit 70 000 Teilnehmer*innen. Auch auf dem Kirchentag in Berlin soll eine Gedenkminute eingelegt werden. Schon im letzten Jahr hat der Papst der Toten gedacht.

Bei alldem ist es beunruhigend, dass vorab im Stillen auch schon der Toten gedacht wird, die in Syrien, in den afrikanischen Hungerzonen, auf dem Weg durch die Sahara und auf der zentralen Mittelmeerroute zu erwarten sind. Trauer statt Rettung.

Auf der zentralen Mittelmeerroute sind im letzten Jahr 181.000 Menschen gezählt worden und 4.500 Tote. 2017 sind es bereits mehr als 1.000 Tote und Vermisste, täglich zehn, und die Saison hat erst begonnen. Die Rettungsschiffe der NGOs und das Alarmphone, die bislang tausende Menschen gerettet haben, werden in den letzten Wochen auf See von der italienischen Küstenwache geschnitten, die großen Schiffe gehen auf Abstand. Interne Frontex-Papiere, die vor einigen Wochen an die Öffentlichkeit gelangten, zeigen jedoch, dass sich die Schiffe gezielt hinter jene Zone zurückziehen, in der die meisten Menschen ertrinken. Frontex beschuldigt die NGOs, mit den Schleppern in Libyen gemeinsame Sache zu machen, und sie werden Ziel diffamierender Angriffe von Seiten rechtsgerichteter Medien, wie zuletzt Zeit MOAS in Italien. Der sizilianische Staatsanwalt Zuccaro behauptet, Beweise für telefonische Absprachen zwischen Schleppern und einzelnen NGOs zu haben. Gerade zu Ostern kam es zum Menetekel auf hoher See.

Es war am Ostersonntag, als der Kapitän des deutschen Rettungsschiffes Iuventa zum Funkgerät griff und einen Notruf absetzte: Mayday. Die Iuventa, die an jenem Tag vor der libyschen Küste trieb und überladen war mit Flüchtlingen, gehört zur Organisation Jugend Rettet, sie ist ein kleines Schiff, gerade groß genug, um ein paar Verletzte an Bord zu nehmen. Normalerweise versorgt sie Flüchtlinge auf dem Meer mit Rettungswesten, Wasser und Erster Hilfe, bis größere Schiffe sie unterstützen und die Menschen aufnehmen. An diesem Sonntag aber gab es niemanden, der helfen konnte.

Dass die Iuventa am Ostersonntag lange keine Hilfe bekam, hat zum einen mit dem Ende der italienischen Rettungsmission Mare Nostrum zu tun: Seit es die nicht mehr gibt, patrouillieren weniger staatliche Rettungsschiffe nahe den libyschen Gewässern, dort also, wo die meisten Notrufe abgesetzt werden und die meisten Menschen ertrinken. Zum anderen ist die Zahl der Flüchtlinge, die von Nordafrika aus nach Europa kommen, gestiegen. Fast 40.000 waren es laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk von Januar bis Mitte April 2017, deutlich mehr als im selben Zeitraum des Vorjahres, und die Schönwettersaison hat noch nicht mal begonnen.

Einen Vorgeschmack auf das, was noch kommen mag, gibt der Bericht des Iuventa-Kapitäns vom vergangenen Sonntag: Schon im Morgengrauen war sein Schiff umringt von seeuntauglichen Schlauchbooten, hatten die Helfer Hunderte Flüchtlinge auf Rettungsinseln versorgt. Dann näherte sich ein Holzkahn mit mehr als 700 Flüchtlingen. Der Kapitän versuchte auszuweichen. Die Menschen auf dem Kahn aber sprangen panisch ins Wasser. Einige ertranken, andere kletterten auf das überfüllte Rettungsschiff. Schlechtes Wetter zog auf, mannshohen Wellen, starker Wind. Die Iuventa, belagert von Hunderten Menschen, war manövrierunfähig geworden.

Mehr als 7.000 Menschen trieben allein am Osterwochenende in den Wellen zwischen Libyen und Italien, in schlaffen Gummibooten und wackligen Kähnen. So viele wie nie zuvor. Die italienischen Rettungsschiffe, die der Iuventa- Kapitän um Hilfe gebeten hatte, wurden unterwegs aufgehalten von Hunderten weiteren Flüchtlingen, die Schiffbruch erlitten hatten. Andere Rettungsboote, die in der Nähe patrouillierten, waren ebenfalls völlig überlastet. Auch das deutsche Rettungsschiff Sea-Eye setzte einen Notruf ab. Und die Besatzung eines maltesischen Rettungsschiffs brach nach mehr als 40 Stunden Dauereinsatz erschöpft zusammen. „We have lost all words“, twitterte die Crew – Sprachlosigkeit auf dem Mittelmeer.

Caterina Lobenstein in Zeit-Online, 19.04.17

Die NGOs tun ihr Bestes. Trotzdem werden in diesem Jahr wahrscheinlich noch mehr Menschen auf der zentralen Mittelmeerroute ertrinken als 2016. Es reicht nicht, die NGOs moralisch und mit Spenden zu unterstützen. Die europäische Politik der Abschreckung führt zum Tod Tausender. Denn der Rückzug der Rettungsschiffe wirkt nicht in erster Linie abschreckend, so das Kalkül der EU, sondern tödlich. Die Zahl der Ertrunkenen steigt. Und die Zahl der Flüchtlinge nimmt trotzdem zu. Um die Passage wirklich sicher zu machen, gibt es nur ein probates Mittel: es braucht Fähren, von den libyschen Häfen nach Catania, nach Barcelona und nach Marseille, und von diesen Städten aus braucht es Strukturen des Supports auf europäischer Ebene.

Fähren jetzt: eine naive Forderung? Ich sehe vor mir das milde Lächeln der Ministerin, die gewundenen Statements der Politiker in den Talkshows, die uns erklären, das Boot sei voll und Europa könne mehr Migrant*innen nicht verkraften. Es werden ‚intelligente Lösungen‘ vorgestellt, sprich Militärpartnerschaften mit Mali, Aufrüstungen für den Sudan und das Verbot, Schlauchboote und Motoren nach Libyen zu exportieren. Auch die Forderung nach dem Aufbau einer libyschen Küstenwache fehlt in keiner Stellungnahme. Von der katastrophalen Lage der Migrant*innen in Libyen wird nur gesprochen, um möglichst viele davon abzuhalten, Richtung Norden aufzubrechen, und die ‚Schleuser und Schlepper‘ medial zur Intervention freizugeben. Krokodilstränen.

Wer gewählt werden will, darf die Forderung nach Fähren nicht unterstützen? Es gibt inzwischen einen gewichtigen Teil der Bevölkerung, der sich von einer politischen Klasse, die das ertrinken lassen zur Staatsraison erhoben hat, nicht mehr vertreten fühlt. Fürchtet Euch nicht! Ja, es würden Hunderttausende kommen. Ihre Ankunft wäre für manche beunruhigend, aber sie wäre für niemand bedrohlich. Sie wäre das Konjunkturprogramm, das Europa so dringend braucht, und die Rücküberweisungen wären die wichtigste Aufbauhilfe für Afrika. Und schon nach 1-2 Jahren wären die Fähren auch auf der Rückfahrt voll von Migrant*innen, die ihre Familien besuchen oder für immer zu ihnen zurückkehren wollen.

Fürchtet Euch nicht vor den Migrant*innen! Fürchtet Euch vor der Unmenschlichkeit! Fürchtet Euch vor dem schreienden Unrecht und dem Zynismus der unterlassenen Hilfe. Es gibt ein elementares Recht auf Migration – aber es gibt kein Recht auf der Welt, Menschen verhungern oder ertrinken zu lassen.

Fähren jetzt