Auf Initiative des Bayerischen und des Münchener Flüchtlingsrates startete diese Woche die Webseite anker-watch.de. Auf der Seite können Vorfälle in bayerischen Ankerzentren gemeldet werden. Außerdem kann an einer Umfrage zu den Lebensbedingungen in den Zentren teilgenommen werden.

Anlass sahen die beiden Flüchtlingsräte durch die Konfrontation mit den unhaltbaren Zuständen in den Ankunfts-, kommunalen Verteilungs-, Entscheidungs- und Rückführungs-Zentren. Von den zunächst im August 2018 eingerichteten Pilotprojekten gibt es inzwischen sieben Zentren in Bayern – in Bamberg, Schweinfurt, Deggendorf, Donauwörth, Zirndorf, Regensburg und Manching. Menschen lebten in den Zentren ohne Rückzugsorte, es gebe zu wenig Hilfe für Traumatisierte und der Zugang zu rechtlicher Unterstützung und Beratung sei stark eingeschränkt, was die Ankerzentren zu faktisch rechtsfreien Räumen mache.

Der „Zusammenschluss von Menschenrechtsorganisationen, Initiativen und ehrenamtlichen Unterstützer*innen“, wie sich die Initiative auf der Seite selbst beschreibt, möchte mit anker-watch.de vor allem für ein kritisches Monitoring und Transparenz sorgen.

Die Webseite existiert auf Deutsch und Englisch.

Die Einführung der ANKER-Zentren hat für alle, die haupt- oder ehrenamtlich im Flüchtlingsbereich aktiv sind, einen großen Wandel gebracht. Der Zugang zu und der Austausch mit den Geflüchteten ist durch die häufig abgelegenen Lager und die Unzugänglichkeit sehr viel schwieriger geworden als zuvor. Gleichzeitig nimmt scheinbar der Bedarf an Unterstützung wegen der schwierigen Umstände in den ANKER-Einrichtungen zu. Gerade dem Bayerischen und dem Münchner Flüchtlingsrat wurden von Geflüchteten aus den ANKER-Zentren immer wieder gravierende Missstände, fatale Lebenssituationen und Gewalterfahrungen berichtet. In den meisten ANKER-Zentren gibt es nur wenige aktive Ehrenamtliche, der Zugang wird kompliziert gestaltet und die Belastung und Frustration für Ehrenamtliche ist dort hoch. Um trotz der isolierten Lage der ANKER-Zentren mehr Einblick in die Lebenssituation der Menschen zu bekommen, ihnen eine Stimme zu geben und dies auch der Öffentlichkeit bekannt zu machen, haben die beiden Flüchtlingsräte mit einem breiten Netz an unterstützenden Organisationen und Einzelpersonen „ANKER-Watch“ gegründet. So wird zum einen durch eine Umfrage erhoben, wie die Zustände in den Einrichtungen sind und zum anderen eine Plattform für Experten- und Betroffenenberichte zu dem Thema geboten. Ziel ist es, die Isolation zu durchbrechen und die Problematik der Öffentlichkeit transparenter zu machen.

anker-watch.de

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Ein Jahr nach der Einrichtung der ersten Ankerzentren für Flüchtlinge haben Hilfsorganisationen deren Abschaffung gefordert. Die Lebensbedingungen dort verstießen gegen europäische Mindeststandards, hieß es bei einer Pressekonferenz des Bayerischen Flüchtlingsrats am Dienstag in München. Der Verein Ärzte der Welt, die Frauenrechtsorganisation Solwodi und der Helfer-Verband Unser Veto Bayern kritisierten vor allem fehlenden Schutz vor Übergriffen sowie mangelnde Privatsphäre für die Bewohner.

„Die Zustände in Ankerzentren und Massenunterkünften machen psychisch gesunde Menschen krank und psychisch Kranke noch kränker“, sagte Psychotherapeutin Stephanie Hinum, die für Ärzte der Welt Bewohner des Ankerzentrums Manching (Landkreis Pfaffenhofen an der Ilm) betreut. Die Bedingungen in den Unterkünften seien „unerträglich“. Weil Rückzugsräume fehlten, würden sich traumatisierte Frauen mit Spinden und Tischen in ihren Zimmern verbarrikadieren. Bewohner berichteten von Übergriffen durch Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes. […]

Ehrenamtliche hätten zu den Ankerzentren nur stark eingeschränkten Zutritt, sagte Joachim Jacob vom Helfer-Verband Unser Veto Bayern: „Der Zugang ist gelinde gesagt undurchschaubar.“ Eine rechtliche Beratung für Klagen gegen negative Asylbescheide sei deshalb so schwierig, dass man Ankerzentren als „rechtsfreie Räume“ bezeichnen könne, sagte Rechtsanwältin Anna Frölich, die Flüchtlinge außerhalb des Ankerzentrums berät. „Die Leute haben Angst, einen Fehler zu machen, wenn sie zu uns kommen.“

SZ│23.07.2019

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Aber auch Patient*innen, die vor ihrer Ankunft in der Sammelunterkunft psychisch stabil waren, sind durch die Umstände einem großen Risiko ausgesetzt, psychische Störungen zu entwickeln. Besonders negativ wirken sich der fehlende Schutz vor Übergriffen und die mangelnde Privatsphäre aus. Die Menschen leben in Mehrbettzimmern, die sie nicht abschließen dürfen. Es fehlt an Rückzugsräumen. Die Mehrzahl der Ärzte der Welt-Patient*innen leiden außerdem an Schlafstörungen, die durch äußere Umstände, wie nächtliche Abschiebungen, verstärkt werden.

neues deutschland │ 23.07.2019

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Update, 31.07.2019

Am 31.07.2019 veröffentlicht Patrick Guyton im Standard einen Artikel unter dem Namen Eigenlob und scharfe Kritik nach einem Jahr bayerische Ankerzentren. Darin stellt er die bayerische Amtspostition gegenüber Ankerzentren von Ministerpräsident Söder und Innenminister Hermann den Darstellungen der Flüchtlingsräte und der Bewohner*innen der Zentren gegenüber.

Während die CSU-Politiker laut Artikel von einer „gelungene[n] Balance zwischen Humanität und Ordnung“ sprechen und die Zahl der „freiwilligen“ Rückkehrer*innen loben, zeichnen Flüchtlingsräte, Unterstützer*innen und Bewohner*innen ein ganz anderes Bild: keine Privatsphäre und Selbstbestimmung, dafür Gewalt, keine (jurisitischen) Unterstützungsstrukturen, weil es kaum Zugangsmöglichkeiten für Externe gibt.

 

Glaubt man dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) und seinem Parteifreund, Innenminister Joachim Herrmann, so ist die ehemalige Max-Immelmann-Kaserne im oberbayerischen Manching zu einem richtig guten Ort geworden. Das Leben der Flüchtlinge dort im Ankerzentrum in der Nähe von Ingolstadt sei „humaner“ als früher, sagt Söder. Die Asylanträge würden mit „viel Gefühl und Fingerspitzengefühl“ bearbeitet, sagt Herrmann. Wer am Ende zu jenen 30 Prozent Anerkannten gehöre, werde „rasch integriert“. […]

Ein Anlass zum Jubel? Söder preist bei einer Pressekonferenz auf dem Manchinger Gelände, wo sowohl Asylwerber einquartiert sind als auch die Behörde ihre Zentrale hat, die Flüchtlingspolitik als „gelungene Balance zwischen Humanität und Ordnung“. Schneller, konsequenter und härter als im Rest Deutschlands will man im Freistaat vorgehen.

Ein paar Tage zuvor sitzt eine 24-jährige Nigerianerin im Münchner Flüchtlingszentrum Bellevue di Monaco. 19 Monate musste sie mit ihrem kleinen Kind in Manching leben, bis sie einen Aufenthaltsstatus bekam. „Man kann dort nicht sein, ohne depressiv zu werden“, meint sie. Mehrere Frauen und Kinder teilen sich einen Raum, man darf nicht selbst kochen und ist auf die Gemeinschaftsverpflegung angewiesen.

Besuch ist nicht gestattet, sämtliche Zimmer lassen sich nicht abschließen, sagt die Frau. Nachts hätten sie mit Stühlen und Tischen die Tür verbarrikadiert. Die Sicherheitsleute würden ohne anzuklopfen in die Zimmer und Duschen kommen. Nigerianerinnen, so hat sie es erlebt, seien von Landsleuten vergewaltigt worden.

Der Widerstand gegen die bayerischen Ankerzentren ist weiterhin groß. Sieben Stück gibt es, in jedem Regierungsbezirk eines. Diese wiederum unterhalten verschiedene Dependancen. Der Bayerische Flüchtlingsrat bezeichnet sie als „Abschiebelager“ und kritisiert die „menschenunwürdige Unterbringung“, bei der die „massive Einschränkung und Verletzung elementarer Grundrechte“ zum Alltag gehöre.

Innenminister Herrmann präsentiert Zahlen, die eine ganz andere Botschaft vermitteln sollen. Genau 1728 Abschiebungen hat es im ersten Halbjahr 2019 in Bayern gegeben, 2018 waren es insgesamt 3265. Ein Erfolg sei das, „hohes Niveau“. 40 Prozent der Abgeschobenen seien zuvor als Straftäter aufgefallen. Mehr als dreimal so viele Menschen seien aber freiwillig in ihre Heimat ausgereist, nämlich 5594 im ersten Halbjahr. „Ich freue mich über jeden Fall, der sich freiwillig erledigt“, sagt Herrmann dazu. Bis zu 1500 Euro würden Rückkehrer erhalten.

„Die Leute sind in einem rechtsfreien Raum aufeinandergepfercht“, kritisiert Frölich [Münchner Anwältin für Migrationsrecht]. Die Klage gegen einen abgelehnten Asylbescheid koste 1000 Euro und dauere zwei bis drei Jahre. So lange müssen die Kläger im Zentrum verweilen, mit einem Taschengeld von 135 Euro im Monat. Auch Joachim Jacob vom Flüchtlingshelfer-Zusammenschluss Unser Veto hat kaum Chancen, den Menschen direkt in den Zentren zu helfen. „Der Zugang ist undurchschaubar, für Ehrenamtliche ist das abschreckend.“ Die Helfer kümmern sich aber um die Leute, die nach einem positiven Bescheid auf die Städte und Gemeinde verteilt werden.

„Das sind gebrochene Menschen“, sagt Jacob. „Sie können kaum Deutsch, kennen sich nicht aus.“ Die Helfer fordern, die Zentren wieder abzuschaffen und die Flüchtlinge wie zuvor auch nach kurzer Zeit auf die Kommunen zu verteilen. […]

Der Standard │ 31.07.2019

Flüchtlingsrat-Initiative: Monitoring in bayerischen Ankerzentren