Stillstand in Tunis

Ein Generalstreik legt das öffentliche Leben in Tunesien lahm. Gewerkschaften kritisieren Auflagen des IWF

Aus Tunis Mirco Keilberth

Höhere Löhne und der Rücktritt der Regierung – das waren die Forderungen, die am Donnerstag durch das Zentrum von Tunesiens Hauptstadt hallten. Nur drei Tage nach dem achten Jahrestag des Aufstands gegen Exdiktator Zine El Abidine Ben Ali stand das öffentliche Leben in Tunis still. Busse und Straßenbahnen fuhren nicht, öffentliche Schulen blieben geschlossen, am Hauptstadtflughafen wurden fast alle Flüge gestrichen. Im ganzen Land erschienen mehr als 650.000 Angestellte des öffentlichen Dienstes nicht zur Arbeit. Selbst einige Krankenhäuser arbeiteten nur eingeschränkt.

Der mächtige Gewerkschaftsdachverband UGTT hatte zum Generalstreik aufgerufen, um für höhere Löhne und politische Reformen zu demonstrieren. Lohnverhandlungen zwischen der Regierung von Ministerpräsident Youssef Chahed und der UGTT waren am Dienstag gescheitert.

„Degage“, riefen die Demonstranten im Chor, „hau ab!“ Die Forderung galt der gesamten politischen Elite, sowohl der Regierung Chaheds als auch dem 92-jährigen tunesischen Präsidenten Beji Caid Essebsi.

„Für uns sind die sowieso alle gleich“, sagt Hassan Nahdi der taz, der bei der Stadtverwaltung von Tunis arbeitet, „die Gleichgültigkeit gegenüber der Korruption und den vernachlässigten Regionen in Südwest­tunesien ist bei allen Politikern identisch.“

„Unsere Kinder wollen Jobs“, erzählen einige Männer vor dem Sitz der UGTT in Tunis. Mit 200 Euro liegt der Durchschnittslohn in Tunesien noch immer auf chinesischem Niveau.

Viele in der Hauptstadt nutzten den Stillstand am Donnerstag auch für einen Spaziergang und um über die Wirtschaftskrise im Land zu diskutieren. Die Arbeitslosenrate liegt bei 15 Prozent, besonders hoch ist sie unter Jugendlichen. Vor allem Akademiker finden oft keine Arbeit. Die Inflationsrate liegt bei 7,5 Prozent. Die UGTT erscheint vielen als einziger Hoffnungsträger in Anbetracht der strikten Sparauflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF), der das Land mit Krediten in den finanziellen Kollaps getrieben hat.

Die einflussreichen Gewerkschaften können deutlich mehr Menschen mobilisieren als die beiden Regierungsparteien Nida Tounis und Ennahda. Während sich die moderaten Islamisten von Ennahda mit Äußerungen im Streit um die Lohnerhöhungen zurückhielten, kritisierten der Regierungschef und der Präsident die Forderungen der Demonstranten scharf: „Ohne Wirtschaftswachstum kann es keine Lohnsteigerungen geben“, sagte Chahed.

Bereits in den vergangenen Wochen hatte es in einigen Regionen Tunesiens Proteste und Ausschreitungen gegeben. Im Dezember war ein Journalist gestorben, der sich aus Protest gegen die wirtschaftlichen Bedingungen im Land selbst angezündet hatte. Eine solche Selbstverbrennung hatte vor acht Jahren den sogenannten Arabischen Frühling ausgelöst. In ­Tunesien kommt es seit Jahren im Dezember und Januar in der Zeit um den Jahrestag der Revolution von 2011 zu Demonstra­tionen und Ausschreitungen.

taz | 18.01.2019

Generalstreik in Tunesien