Gemäß einer Meldung des Spiegel vom 13.11.19 soll Griechenland in diesem Jahr knapp 60.000 illegale Abschiebungen in die Türkei durchgeführt haben.
Das türkische Außenministerium beschuldigte die griechischen Behörden (im November 2019), Flüchtlinge verhaftet, sie geschlagen, ihre Kleider geraubt, Habseligkeiten beschlagnahmt und sie dann in die Türkei zurückgeschickt zu haben. „Wir haben Fotos und Dokumente“, fügte das Ministerium hinzu.
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Das türkische Material umfasst Fallberichte und Interviewprotokolle. Zudem Fotos, die angeblich Migranten zeigen sollen, die von griechischen Behörden misshandelt wurden. Dazu enthält es bisher unveröffentlichte Daten, die vom türkischen Innenministerium zusammengestellt wurden.Diesen Daten zufolge hat Griechenland in den zwölf Monaten vor dem 1. November 2019 insgesamt 58.283 Migranten zurückgeschafft. Die meisten registrierten Fälle betrafen pakistanische Staatsangehörige (16.435), gefolgt von Afghanen, Somaliern, Bangladeschern und Algeriern. Dazu kommen mehr als 4.500 Syrer.
Dem Dokument nach lag die Zahl der gemeldeten Push-Backs allein im Oktober bei mehr als 6.500. Ein endgültiger Beweis sind die Dokumente nicht, die Anschuldigungen der Migranten lassen sich nicht unabhängig verifizieren. Und Griechenland bestreitet die Vorwürfe. Allerdings stimmen sie mit ähnlichen Berichten von Menschenrechtsorganisationen überein.
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In letzter Zeit würden vermehrt Migranten zurückgebracht, nachdem sie mit Booten den Evros überquert hätten, heißt es in dem Bericht der türkischen Behörden. So gibt der Gouverneur von Edirne in einem Schreiben vom 29. Oktober an das türkische Innenministerium an, dass zwischen Anfang Januar und Ende September insgesamt 91.681 illegale Migranten in seiner Provinz aufgegriffen worden seien.Dies sei ein dramatischer Anstieg im Vergleich zu den knapp 30.000 Festgenommenen im Jahr 2016. Laut türkischen Behörden gaben mehr als 55 Prozent der festgenommenen Migranten an, es nach Griechenland geschafft zu haben, aber trotzdem zurückgebracht worden zu sein.
In der TAZ vom 14.11.19 finden sich wichtige Ergänzungen:
Auch das UN-Flüchtlingswerk UNHCR hat Berichte über Pushbbacks erhalten, will aber keine Angaben zu Zahlen machen. Die Organisation sei „besorgt“ wegen „anhaltender, glaubwürdiger Berichte“ über die informellen erzwungene Rückführungen von Griechenland in die Türkei, so eine Sprecherin. „Bei vielen Gelegenheiten haben wir diese Bedenken an die griechischen Behörden übermittelt und eine Untersuchung der Vorfällen gefordert.“ Bisher habe Griechenland auf diese Berichte aber nicht reagiert und einen effektiven Zugang zum Asyl und zum Schutz vor de Zurückschiebungen sicher gestellt.
Mit Gewalt genötigt
Tatsächlich ist die Praxis dieser Zurückschiebungen seit langer Zeit bekannt. Dabei werden Migranten und Flüchtlinge, die die griechische Polizei aufgreift, nicht wie vorgeschrieben zunächst in Aufnahmeeinrichtungen gebracht, sondern direkt an die grüne Grenze zurückgefahren und meist mit Gewalt dazu genötigt, zurückzugehen. Strittig war in der Vergangenheit unter anderem die Frage, welche Rolle die EU-Grenzschutzagentur Frontex dabei spielt. Frontex hatte die Zurückschiebungen meist als rein griechische Aktionen dargestellt.
Neu ist, wie die Türkei mit dem Phänomen umgeht: Nämlich mit einer Offenlegung ihrer Erkenntnisse zu den Pushbacks. Im Juli war Kyriakos Mitsotakis von der konservativen Nea Dimokratia Ministerpräsident geworden und hatte bald eine härtere Gangart in Sachen Asyl angekündigt. Ankara fürchtete offenbar eine Zunahme der illegalen Rückschiebungen. Ende Oktober hatte die Türkei deshalb Griechenland der Lüge bezichtigt.
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Abschiebungen aber gab es von den Ägäis-Inseln, wo alle Flüchtlinge mindestens ein abgespecktes Asylverfahren durchlaufen, vergleichsweise wenige: Von April 2016 bis Mai 2019 wurden insgesamt rund 2.460 Menschen in die Türkei abgeschoben – also ganz erheblich weniger als am Evros, wo es kaum öffentliche Aufmerksamkeit gibt.Ein Grund dafür, warum die Zahl der Abschiebungen von den Inseln relativ gering ist, ist, dass die griechischen Asylbehörden die Türkei unter anderem deshalb nicht für sicher halten, weil sie in Länder wie Afghanistan abschiebt. Am Evros aber gibt es solchen Rechtsschutz nicht.
Salinia Stroux, freie Mitarbeiterin bei Refugee Suppurt Aegean in Athen, beobachtet die Lage am Evros seit Jahren. „Alle wissen es seit Jahren, auch Frontex ist Zeuge dieser Vorfälle.“ Schon 2013 hat Stroux für Pro Asyl eine Studie über die illegalen Zurückschiebungen aus Griechenland verfasst. „Die Zahlen schätzte man damals auch schon sehr hoch“, sagt sie.
Tatsächlich sei die Türkei der einzige Akteur, der halbwegs genaue Zahlen über das Geschehen habe „und auch schon immer hatte“, sagt Stroux. Am Evros Zurückgeschobene würden in der Regel aufgegriffen und in kleinen Polizeiwachen an der Grenze oder in der Stadt Edirne in Gewahrsam genommen. „Uns haben viele Flüchtlinge und Migranten berichtet, dass sie dabei befragt wurden.“ Dass die Türkei diese Statistiken nun erstmals so offensiv kommuniziert, nennt Stroux „ein politisches Spiel“, offenbar um den Druck auf Griechenland und die EU zu erhöhen.