Eigentlich war es Pietro Gallos Job, auf einem Seenotrettungsschiff für Sicherheit zu sorgen. Dann machte er eine merkwürdige Beobachtung und informierte den heutigen Innenminister. Nun drohen zehn SeenotretterInnen zwanzig Jahre Haft.

Von Bartholomäus von Laffert, Rom

Als am Morgen des 2. August 2017 sein Telefon nicht mehr zu klingeln aufhört, ahnt Pietro Gallo, dass er einen grossen Fehler gemacht hat. Er befindet sich gerade auf dem Mittelmeer, einige Meilen vor der libyschen Küste, an Deck der «Vos Hestia», des Seenotrettungsschiffs der NGO Save the Children. Es sind JournalistInnen, die mit ihm sprechen wollen. Mit ihm, dem Spion und vermeintlichen Zeugen eines Verbrechens, das es vielleicht nie gegeben hat.

In den frühen Morgenstunden des 2. August, so wird Gallo später erfahren, wurde im Hafen von Lampedusa die «Iuventa», das Seenotrettungsschiff der deutschen NGO Jugend rettet, von den italienischen Behörden festgesetzt. Als Begründung wurde der Crew eine 551 Seiten lange Akte vorgelegt, die die ErmittlerInnen in Italien über Monate hinweg erstellt hatten. Der Verdacht: Beihilfe zur illegalen Migration nach Italien. Angeführt werden in der Akte drei Verdachtsmomente, der erste datiert vom 10. September 2016. Die vermeintlichen Belege: Zeugenaussagen, Berichte verdeckter ErmittlerInnen, abgehörte Telefongespräche. Ein Name, der immer wieder auftaucht: Pietro Gallo.

Eineinhalb Jahre später, im Frühjahr 2019, in einem fensterlosen Büro im römischen Viertel San Giovanni. Pietro Gallo trägt einen blauen Pullover über einem blau karierten Hemd, hat die dünnen grauen Haare nach oben gegelt. Er hat sich zu diesem Treffen bereit erklärt, um seinen Fehler zu erläutern.

Einen Fehler, in dessen Anschluss Gallo mit dem Tod bedroht wird und Matteo Salvini italienischer Innenminister ist, während kein einziges Rettungsboot mehr auf dem Mittelmeer kreuzt und zehn ehemaligen Mitgliedern der «Iuventa»-Crew in Italien bis zu zwanzig Jahre Haft drohen. […]

WOZ | 09.05.2019

Juventa: „Salvinis Spion“