Der Foto- und Videojournalist Michael Trammer ist vor Ort und wurde am Sonntag während seiner Arbeit von Rechtsradikalen angegriffen. Mit dem Tagesspiegel hat er über die Situation auf der Insel gesprochen.

Herr Trammer, geht es Ihnen gut?

Den Umständen entsprechend. Ich habe mir eine Platzwunde am Kopf sowie mehrere Prellungen zugezogen. Außerdem wurden meine Kameras ins Wasser geworfen. Zum Glück ist eine Kollegin sofort ins Wasser gesprungen und hat sie mir zurückgegeben. Natürlich bin ich noch ganz schön mitgenommen. Als ich im Sommer 2018 über die Ausschreitungen in Chemnitz berichtet habe, bin ich auch schon angegangen worden. […] Als heute eines der Boote anlegen wollte, standen etwa hundert Menschen am Hafen, haben „Geht zurück in die Türkei“ gebrüllt und die Menschen mit Gegenständen beworfen. Einige haben das Boot immer wieder aufs Meer hinausgestoßen. Es waren Kinder an Bord, die geweint haben. Die Küstenwache hat sich nicht blicken lassen. […] Selbst die, die nicht mit den Rechtsradikalen sympathisieren, stimmen deren Aktionen mindestens stillschweigend zu, hat man den Eindruck. […] Die Situation erinnert ein wenig an Rostock-Lichtenhagen 1992. Hier braut sich gerade ein Pogrom zusammen. Ich habe schon seit ein paar Tagen Angst gehabt, dass es bald eskalieren könnte. Europa hat monatelange weggeschaut. Lange wird das hier nicht mehr gut gehen. […]

Gerade tobt in den sozialen Netzwerken ein heftiger rechter Shitstorm gegen mich. So schlimm das alles ist: Der mediale Fokus muss bei den Geflüchteten bleiben. Nicht auf verprügelten Journalisten.

Tagesspiegel | 04.03.2020

Lesbos: „Da braut sich ein Pogrom zusammen“