Unter diesem Titel schrieb Christoph Sydow am 04.07.2019 auf Spiegel Online zur Bombardierung des Flüchtlingslagers in Tajoura und zu den Geschehnissen um Sea-Watch:

[…] Alles deutet darauf hin, dass es die Truppen von Haftars sogenannter „Libyschen Nationalen Armee“ waren, die das Camp bombardierten. Vermutlich wollten sie das benachbarte Lager einer verfeindeten Miliz treffen, welche die international anerkannte Regierung von Ministerpräsident Fayez al-Sarraj unterstützt.

Auch die EU trägt Verantwortung an dem Bombardement

Der Vorfall zeigt, wie schutzlos Migranten der Gewalt in Libyen ausgesetzt sind. Die Uno-Mission für Libyen hatte den Konfliktparteien die Koordinaten des Flüchtlingscamps übermittelt. So wollten die Vereinten Nationen sicherstellen, dass das Gelände nicht angegriffen wird.

Die regierungstreuen Milizen werteten das aber offenbar als Einladung dafür, in unmittelbarer Nähe ein eigenes Militärlager zu unterhalten und benutzten die rund 600 Migranten als menschliche Schutzschilde. Haftars Truppen wiederum entschlossen sich dazu, die Miliz trotz der Zivilisten in unmittelbarer Nachbarschaft zu bombardieren.

Doch auch die Europäische Union trägt einen Teil der Verantwortung. Viele der Migranten, die in Tajoura eingesperrt wurden, waren auf dem Weg nach Europa im Mittelmeer von der libyschen Küstenwache gestoppt und dann festgesetzt worden. […]

Trotzdem hat die libysche Küstenwache mit Billigung der EU seit Jahresanfang rund 3000 Migranten zurück an Land gebracht und dort interniert. Im vergangenen Jahr waren es rund 15.000 Migranten. Sie werden in Libyen ohne Anklage festgehalten – einfach nur, um zu verhindern, dass sie sich auf den Weg nach Europa machen.

Schon vor Ausbruch der Kämpfe um Tripolis vor drei Monaten war die Lage in den Flüchtlingscamps verheerend. Allein in einem Lager in der Stadt Zintan sind seit September 2018 mindestens 22 Menschen an Tuberkulose gestorben. Auch in diesem Camp wurden Migranten interniert, die von der libyschen Küstenwache auf dem Mittelmeer abgefangen worden waren.

Der Weg nach und das Überleben in Libyen ist für afrikanische Migranten gefährlicher als die Flucht über das Mittelmeer:

  • Seit Anfang 2017 hat die IOM nach eigenen Angaben in der Sahara knapp 20.000 Menschen vor dem Tod gerettet.
  • Zuletzt griffen Helfer Mitte Juni mehr als 400 Migranten in Niger auf, die von Schleppern ohne Wasser und Nahrungsmittel mitten in der Wüste zurückgelassen wurden.
  • Auf jeden geretteten Migranten kommt höchstwahrscheinlich eine weitaus größere Zahl Toter.

„Wir wissen, dass vermutlich Tausende Opfer unbemerkt bleiben, weil ihre Leichen entweder vom Sand begraben oder von Tieren aufgefressen wurden“, sagt IOM-Sprecher John Millman.

„Libyens Wüste ist gefährlicher als das Mittelmeer“