Geheimbericht des Auswärtigen Amtes zeigt: Deutschland versucht, mit den salafistischen „Rada – Special Deterrence Forces“ Gespräche über „Rückführungen“ von Migrant*innen nach Libyen aufzunehmen

Ein interner Bericht über die »asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libyen« des Auswärtigen Amtes, der dem lower class magazine vorliegt, zeigt einen neuen Tiefpunkt in der „Flüchtlingspolitik“ der deutschen Bundesregierung.

Das als »Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch« eingestufte Dokument dokumentiert zunächst die menschenrechtlich katastrophale Lage in dem nordafrikanischen Staat: Libyen wird als »failed state« beschrieben, in dem verschiedene Warlords und Milizen einander ohne Rücksicht auf Zivilist*innen bekämpfen. Niemand ist vor Folter, willkürlichen Verhaftungen, Morden, sexualisierter Gewalt und Sklaverei sicher. Richtig wird bewertet: Fliehende und ausländische Migrant*innen sind dabei „der am schlechtesten geschützte Teil der Bevölkerung“.

Dass das die Europäische Union nicht davon abhält, die libysche Küstenwache auszurüsten und auszubilden, um Menschen daran zu hindern, diese Hölle – die ihrerseits aus einem NATO-Angriffskrieg entstand – zu verlassen, ist bekannt.

Die Bundesregierung aber will offenbar noch einen Schritt weiter gehen. Im Kapitel „Abschiebewege“ beklagt das Auswärtige Amt, Schwierigkeiten, mit Milizen – darunter die sogenannte Rada/SDF – Verhandlungen einzuleiten. Der Wille, in Zusammenarbeit mit Rada „rückzuführen“, ist in dem Papier klar erkennbar. Und offenbar wurden bereits Gespräche in diese Richtung geführt. „Ergänzende Verhandlungen mit den Milizen sind notwendig“, schreibt das Auswärtige Amt. Doch: „Der Zugang zu entscheidungsbefugten Mitgliedern gestaltete sich bislang insbesondere im Falle der Rada/SDF schwierig.“

Wer sind diese „Rada – Special Deterrence Forces“? Die radikal-salafistische Gruppe gelangte zu internationaler Bekanntheit, weil sie im November 2017 die Messe „Comic Con“ in Tripolis stürmten, Teilnehmer*innen verhafteten und zusammenschlugen. Eine Comic-Messe, so die Begründung, sei „unislamisch“.

Rada ist ihrerseits eine aus heterogenen Elementen zusammengesetzte Gruppe. Der radikalste Flügel gilt als kaum von al-Qaida oder dem Islamischen Staat unterscheidbar. Allen gemeinsam ist eine ultra-orthodoxe Auslegung des Islam. Der zumindest zeitweilige Anführer der Gruppe, Abd al-Rauf Kara, ist ein Hardliner. Das von der Gruppe kontrollierte Gefängnis am Mitiga-Flughafen, ist ein dystopischer Ort der Qualen. Ein Bericht der Vereinten Nationen spricht von Folter, unrechtmäßigen Hinrichtungen, Verweigerung von medizinischer Behandlung und generell schlechten Haftbedingungen.

Die Liste von Menschenrechtsvergehen und Gewalttaten gegen Andersdenkende durch die Rada-Miliz lässt sich lange fortsetzen. Der Bundesregierung ist das offensichtlich aber alles kein Hindernis, wenn es darum geht, die „Festung Europa“ auszubauen.

Erstaunlich an dem Geheimbericht aus dem Auswärtigen Amt ist aber auch die dort wiedergegebene Position des Landesdirektors der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Der soll angedeutet haben, die derzeit bestehende Position der IOM, nach Libyen keine Abschiebungen zu unterstützen, „bei einer konkreten Anfrage ad hoc [zu] überprüfen“.

Da davon auszugehen ist, dass sich auch die katastrophale menschenrechtliche Lage im vom Westen 2011 zum »failed state« zerbombten Libyen nicht „ad hoc“ ändern wird, signalisiert auch der IOM-Funktionär: Am Ende geht es bei Abschiebungen nicht um Menschenrechte. Es geht um deren Machbarkeit. Findet man einen hochrangigen salafistischen Funktionär, der kooperiert, wird man schon eine Erzählung stricken können, um der Öffentlichkeit die „Rückführung“ von Menschen in das Höllenloch Libyen schmackhaft zu machen – scheint die Devise zu sein.

Lower Class Magazin | 17.122018

„Bundesregierung verhandelt mit libyscher Islamisten-Miliz über Abschiebungen“