The Great Game

Im Vordergrund steht weiterhin die Befürchtung, dass Boat People vor der libyschen Küste mit Hilfe Italiens von der „libyschen Küstenwache“ abgefangen und in Lager zurück transportiert werden, in denen sie gefoltert und vergewaltigt werden. Wahrscheinlich ist, dass manche Milizen das Schlauchboot-Business betreiben und gleichzeitig als „Küstenwache“ operieren. Deshalb sind Deals à la Minniti möglich – die Boat People zahlen die Zeche. Dass dieselben Milizen die Gaspipelines nach Italien sichern, macht die Dinge nicht einfacher. Italien hat schon zu Kolonialzeiten westlibysche Verbindungen genutzt, um Ostlibyen zu unterwerfen und zu massakrieren, wo es nur möglich war. Minniti setzt auf informelle Netzwerke und hofft, das Schlauchboot-Business bremsen und die Gaslieferungen gleichzeitig sichern zu können. Es ist ein Alleingang, der in der EU keine einheitliche Zustimmung findet.

Frankreich setzt indes auf Einbindung des libyschen Ostens, auf General Haftar & Co. – ebenso wie Russland, das vor wenigen Monaten einen ostlibysch-basierten Exploitationsvertrag für Gas und Öl abgeschlossen hat, und wie auch VAE / Ägypten. Dazwischen die geheimen Eliteeinheiten von USA und UK und viele andere Player. Dass Katar eher auf der Seite West / Italien steht, wirft ein Schlaglicht auf den Konflikt am Golf.

In dem Land tobt ein Stellvertreter-Krieg um Erdöl und Erdgas. Ausländische Konzerne rivalisieren um die Förderrechte und Pipelines in Libyen. Aktuell rivalisieren folgende Energiekonzerne in Libyen: ENI (Italien), Total SA (Frankreich), Repsol YPF (Spanien), Waha Oil Co. (Ein US-Joint Venture), BP (Großbritannien), ExxonMobil (USA), Statoil (Norwegen), Royal Dutch/Shell (Niederlande(Großbritannien), Gazprom und Rosneft (Russland), RWE (Deutschland).

„Die ehemalige Kolonie Libyen ist für Italien aus vielfachem Grund wichtig. Migration spielt dabei nur in den Medien die Hauptrolle“, wird der libysche Analyst Mohamed Khalil in der taz zitiert, der für Human Rights Watch die Lage über Jahre beobachtet hat. In den Medien spielen die Dilemmata des New Great Game und die neokolonialen Interessen Italiens kaum eine Rolle. Stattdessen wird dessen Libyen-Politik mit der ‚Flüchtlingskrise‘ erklärt. Die ‚menschenunwürdigen Bedingungen‘, aus denen die Geflüchteten gerade entkommen sind und in die sie nun wieder zurückkehren, werden zwar benannt, aber das bleibt folgenlos. Verständnis wird eher für die Nöte Italiens aufgebracht, das von Europa im Stich gelassen wird, als für die Boat People.

Über die neue Situation vor Libyen berichtet die Tagesschau:

Die libysche Küstenwache, die unter anderem von Italien aufgerüstet und geschult wurde, zeigt eine immer größere Präsenz in libyschen Hoheitsgewässern und versucht bereits dort möglichst viele Flüchtlingsboote abzufangen. Laut Angaben der Internationalen Organisation für Migration hat sie seit Freitag über 1100 Menschen abgefangen. Diese Migranten landen wahrscheinlich in libyschen Aufnahmezentren, in denen laut Berichten der Vereinten Nationen und mehrerer Hilfsorganisationen menschenunwürdige Bedingungen herrschen.
Italien unterstützt die Einsätze der libyschen Küstenwache seit dem 2. August mit Schiffen in libyschen Hoheitsgewässern. Italien leistet technische und logistische Hilfe, vermutlich handelt es sich vor allem um Aufklärung, damit Boote mit Migranten an Bord noch innerhalb der libyschen Hoheitsgewässer identifiziert werden können.

Berichtet wurde auch, im Rückgriff auf ältere Nachrichten, über die katastrophalen Zustände in den libyschen Konzentrationslagern, insbesondere in der Washington Post und dem Standard , wo es heißt:

Der deutsche Auslandsreporter Michael Obert hat sich aufgemacht, um diese Frage zu beantworten. In Zawiya, 50 Kilometer westlich von Tripolis, durfte er mit der Küstenwache in bewaffneten Booten auf Patrouille gehen – wie sich herausstellte, wird sie von einem Warlord geleitet. Commander Al Bija übernahm mit seinen Männern vor zwei Jahren die Führung in Zawiya. Seitdem kontrolliert er nach eigenen Angaben mit seiner Flotte den Küstenstreifen von der tunesischen Grenze bis kurz vor Tripolis. Gegenüber Obert prahlt er damit, in diesen zwei Jahren an die 40.000 Flüchtlinge an der Überfahrt nach Europa gehindert zu haben. …
Doch es gibt auch eine andere Version, die von mehreren Experten genannt wird: Al Bija, also die Küstenwache, sei selbst einer der größten Player im Schleppergeschäft oder nasche an dem Kuchen zumindest gewaltig mit. „Die libysche Küstenwache ist von dubiosen Akteuren durchsetzt. Die Internierungslager – derzeit werden mehr als 20 von der Einheitsregierung betrieben – sind momentan nichts weiter als von Milizen verwaltete Lagerhallen“.

In diesem Zusammenhang ist ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags vom 31.07. von Bedeutung, nach dem die Rückführung Geretteter nach Libyen ausgeschlossen ist. Auf S. 15/16 heißt es:

„5.2. Rückführung der Geretteten nach Libyen

Eine Rückführung geretteter Flüchtlinge und Migranten nach Libyen könnte gegen das völkerrechtliche refoulement – Verbot verstoßen. Nach Art. 33 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) darf kein Vertragsstaat einen Flüchtling in Gebiete aus-oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde. Der sogenannte Grundsatz des non-refoulement folgt ferner aus Art. 3 der VN-Antifolterkonvention, Art. 19 Abs. 2 der EU-Grundrechtecharta sowie indirekt aus Art. 7 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) und aus Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). Das Rückschiebeverbot gilt auch für jene Gegenden, wo eine konkrete Gefahr für Leib und Leben des Flüchtlings durch eine Bürgerkriegssituation besteht. Zudem hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2011 im Fall M.S.S. gegen Belgien entschieden, dass die Rückführung von Flüchtlingen nach Griechenland im Rahmen der Dublin II-Verordnung gegen Art. 3 EMRK verstößt, soweit in den Aufnahmelagern erniedrigende Haft-und Lebensbedingungenfestgestellt werden. Das refoulement-Verbot ist mehrheitlich auch als Völkergewohnheitsrecht anerkannt. Es wird ferner diskutiert, ob dem refoulement-Verbot gar der Status einer zwingenden Norm des Völkerrechts (ius cogens) i.S.d. Art. 53 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WVK) zukommt. Von einer solchen zwingenden Norm des Völkerrechts darf unter keinen Umständen abgewichen werden –weder aus sicherheitspolitischen (vgl. etwa Art.33 Abs. 2 GFK) noch aus anderen Gründen. Nur eine spätere Norm, die ebenfalls ius cogens-Charakter hat, kann eine bestehende ius cogens-Norm abändern (Art. 53 Satz 2 WVK a.E.).

Mit Blick auf Libyen spricht das Auswärtige Amt laut Medienberichten von „allerschwersten, systematischen Menschenrechtsverletzungen“ und „KZ-ähnlichen Verhältnisse(n)“ in Flücht-lingslagern. Auch in Lagern, welche von der libyschen Übergangsregierung betrieben werden, herrschen anerkanntermaßen unhaltbare Lebensbedingungen. Daher folgt aus dem refoulement-Verbot, dass eine Rückführung Geretteter nach Libyen durch deutsche Behörden oder deutsche Staatsschiffe derzeit ausgeschlossen ist.“

Die Iuventa-Krise

Die italienische Administration ist in sich gespalten – die Minniti-Fraktion setzt va banque auf die Abwehr der Boat People und die Italien-Westlibyen-Connection, während z.B. das Transportministerium und katholische Fraktionen weiter auf Humanität setzen. Die Repression gegen die SAR-NGOs folgt ganz Minnitis Strategie, während z.B. MSF am 5. August 127 Boat People an die italienische Küstenwache übergeben durfte.

An den „Beweisen gegen die Iuventa“ gibt es derweil massive Zweifel. Das italienische Blatt Famiglia Christiana schreibt:

„Die Repression des italienischen Innenministeriums gegen die SAR-NGOs, speziell gegen die Initiative „Jugend Rettet“, weist unerhörte Verbindungen zu den Identitären („Defend Europe“ – Schiff „C-Star“) und den italienischen Geheimdiensten auf.“

Über Minniti wurde bekannt, dass er als EX-PCI‘ler aus den 1980ern der italienische Meisterspion geworden sei und nun als Innenminister verantwortlich ist sowohl für die Libyen-Connection wie für die Repression gegen die NGOs. Die „Beweise“ gegen „Jugend Rettet“ wurden offenbar über den Security Service IMI lanciert, der enge Verbindungen sowohl zum italienischen militärischen Geheimdienst hat wie auch zu den „Identitären“. Weitere Hinweise finden sich hier.

Dass die Entsendung italienischer Kriegsschiffen eine Lunte am Pulverfass ist, wurde aus den Statements der „Operation Würde“ und der Armee Generals Haftars deutlich. Dass diese Maßnahme, in Verbindung mit der Bedrohung der NGO Schiffe, in Verdacht steht, zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu werden, wurde aus den Stellungnahmen von HRW, MSF, Pro Asyl und weiteren deutlich. Die NGO Schiffe retten zur Zeit 40% der Boat People und sind unverzichtbar, weil sich die Schiffe von Frontex und Sophia fernab in den internationalen Gewässern tummeln.

Die Fischer in Tunis

Ein Lichtblick dieser Tage war, was dem Schiff der „Identitären“ widerfuhr, das die Rettungsmaßnahmen der SAR-NGOs verhindern soll. Es wurde vor der Einfahrt in die Häfen von Zarzis auch von Sfax von Fischerbooten blockiert und hat die tunesischen Gewässer inzwischen verlassen. In einer Presseerklärung Tunesischer Aktivisten* heißt es:

VICTOIRE !
Encore une fois, seule la lutte paye !
Le navire anti-migrants des identitaires européens vient d’être chassé de Tunisie. Il lui a été impossible de se ravitailler dans nos ports. C’est une grande victoire pour toutes celles et ceux qui se sont mobilisé-e-s, en Tunisie et ailleurs et que nous remercions vivement pour leur aide.
En effet, depuis plusieurs semaines, ce navire de la honte est rejeté partout : en Egypte, à Chypre, en Crète, en Sicile et maintenant en Tunisie.
Devant ce nouvel échec cuisant, les racistes ont encore rebroussé chemin.
Continuons nos efforts ! Pas de fascistes en Mditerranée, ni nulle part ailleurs !

Vive la lutte et la solidarité par-delà les frontières !

Collectif d’Afrique du Nord contre le navire raciste C-Star et la propagande de Defend Europe

Zu dem, was in der Woche sonst noch wichtig war, gehört die drohende Wiederaufnahme der Dublin-Abschiebungen nach Griechenland, aber auch die Überwindung des Grenzübergangs in Ceuta durch 200 Personen.

FFM Weekly 31/2017