Die EU plant die Überstellung von Flüchtlingen aus Libyen in Lager in Ruanda. Dabei sollen in einem ersten Schritt 500 Flüchtlinge, die eigentlich nach Europa übersetzen wollten, aber in libyschen Lagern festgehalten werden, in den kleinen zentralafrikanischen Staat abgeschoben werden, heißt es in mehreren Berichten. Perspektivisch sei eine Ausweitung des Programms, das von Brüssel wenigstens kofinanziert werden soll, auf bis zu 30.000 Flüchtlinge denkbar. Der Schritt wird erwogen, weil ein Ende 2017 initiiertes Programm stockt, in dessen Rahmen Flüchtlinge aus Libyen nach Niger abgeschoben werden; in Niger wird zunehmend Unmut laut, weil die Flüchtlinge, anders als zunächst versprochen, nur sehr schleppend in die wohlhabenden Länder Europas und Nordamerikas umverteilt werden. Ruanda beherbergt schon jetzt rund 150.000 Flüchtlinge, die dort unter desolaten Verhältnissen in Lagern leben; im vergangenen Jahr wurden elf Flüchtlinge beim Protest gegen 25-prozentige Lebensmittelkürzungen erschossen. Ruanda ist allgemein für seine blutige Repression berüchtigt.

Flüchtlingslager in Niger

Die aktuellen Pläne, Flüchtlinge aus Libyen nach Ruanda abzuschieben, haben einen doppelten Hintergrund. Zum einen funktioniert das Ende 2017 etablierte Modell nicht mehr, Flüchtlinge aus Libyen nach Niger zu bringen und sie von dort in andere Länder umzuverteilen. Dazu hatte sich Niger auf starken Druck aus der EU bereit erklärt, nachdem ein Videobericht über die Versklavung von Flüchtlingen in Libyen bekannt geworden war und weltweit für Empörung gesorgt hatte. Der Prozess der Umverteilung nach Europa und Nordamerika ist allerdings nie so recht in Schwung gekommen, weil die EU – nicht zuletzt auch Deutschland – ihn von Anfang an nach Kräften verschleppt hat. Das wiederum hat dazu geführt, dass in Niger der Unmut wächst und das Land sich zunehmend gegen die Aufnahme der Flüchtlinge sperrt. Laut Angaben des UNHCR sind seit Ende 2017 bis zum 12. August 2019 genau 2.911 Flüchtlinge aus Libyen nach Niger geflogen worden. Von ihnen wurden bis heute lediglich 1.700 in einigen EU-Ländern, in den USA oder Kanada aufgenommen.[1]UNHCR: Libya-Niger situation. Resettlement update #74. 12.08.2019. Das sind im Durchschnitt nicht einmal drei pro Tag. Die anderen vegetieren in nigrischen Flüchtlingslagern unter miserablen Umständen dahin.[2]Vgl. auch In die Rebellion getrieben.

„Offene Türen“

Zum anderen basieren die aktuellen Pläne auf der Tatsache, dass sich Ruanda bereits im November 2017 offiziell als Aufnahmeland für Flüchtlinge angeboten hat. In Reaktion auf den Videobericht über die Sklavenhaltung in Libyen hatte das ruandische Außenministerium damals mitgeteilt, die „Türen“ des Landes seien „weit geöffnet“; man sei trotz aller eigenen Schwierigkeiten bereit, Flüchtlinge aufzunehmen.[3]Alan Cowell: Rwanda Offers to Host African Migrants Stranded in Libya. nytimes.com 23.11.2017. Die Rede war von insgesamt bis zu 30.000 Menschen, die aus Libyen nach Ruanda abgeschoben werden könnten, verteilt über einen Zeitraum von mehreren Jahren. In der EU wurde das Angebot aus Kigali damals zurückgestellt – zugunsten der Unterbringung der Flüchtlinge in Niger.

Verhandlungen in Brüssel

Weil nun aber die Überstellung der Flüchtlinge nach Niger wegen der schleppenden Umverteilung in die EU-Staaten stockt, wird seit geraumer Zeit über Ruandas fortbestehendes Angebot diskutiert. Konkret geht es jetzt darum, in einem ersten Schritt 500 Flüchtlinge aus Libyen nach Ruanda zu bringen. Im Juli besichtigten einem Bericht zufolge Angestellte der zuständigen ruandischen Behörden ein Lager in Niger, in dem aus Libyen antransportierte Flüchtlinge leben. Prinzipiell sei Kigali weiterhin bereit, in Kooperation mit den Vereinten Nationen und der EU Migranten aus Libyen aufzunehmen, wird eine Mitarbeiterin des ruandischen Außenministeriums zitiert.[4]Michael Peel, Tom Wilson: Rwanda in talks on Libya migrant evacuation plan. ft.com 06.08.2019. Ein zuständiger Sondergesandter des UNHCR hat unlängst bestätigt, seine Organisation untersuche gemeinsam mit der Afrikanischen Union die „Option einer Evakuierung [von Flüchtlingen, d. Red.] nach Ruanda“. EU-Stellen wiederum bekräftigen, Brüssel sei zur „Unterstützung“ dieser Option bereit.[5]Michael Peel, Tom Wilson: Rwanda in talks on Libya migrant evacuation plan. ft.com 06.08.2019. Wie es heißt, hat Ruandas Präsident Paul Kagame bereits im vergangenen Jahr die Angelegenheit mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker besprochen.[6]Ivan R. Mugisha, Allan Olingo: Rwanda offers migrants stuck in Libya, Niger a safe haven. theeastafrican.co.ke 11.08.2019. Juncker hat Kagame am 4. Juni 2018 in Brüssel zum Gespräch empfangen, ist seinerseits im April dieses Jahres zu den Gedenkveranstaltungen anlässlich des 25. Jahrestags des ruandischen Genozids nach Kigali gereist und hat am 18. Juni 2019 am Sitz der EU erneut mit Kagame verhandelt.

Flüchtlingslager in Ruanda

Flüchtlingsorganisationen üben scharfe Kritik an den Plänen. Dabei geht es einerseits um die Lage der Flüchtlinge, die bereits heute in Ruanda leben. Ruanda, das am dichtesten besiedelte Land des afrikanischen Kontinents, beherbergt rund 150.000 Flüchtlinge – meist aus der Demokratischen Republik Kongo sowie Burundi. Es hat ihnen zwar offiziell umfassende soziale und ökonomische Rechte garantiert, darunter das Recht auf Arbeit. Beobachter weisen allerdings darauf hin, dass diese Rechte wohl auf dem Papier existieren, in der ruandischen Lebenswirklichkeit jedoch nicht wirklich Konsequenzen haben.[7]Camille Le Coz: EU-Rwanda plan: Another short-sighted answer to Libya migration crisis. thenewhumanitarian.org 16.08.2019. Im Februar vergangenen Jahres führten die katastrophalen Lebensbedingungen in ruandischen Flüchtlingslagern und die Kürzung der Lebensmittelzuschüsse durch internationale Organisationen um 25 Prozent dazu, dass mehrere Tausend Flüchtlinge vor einem UNHCR-Büro im Westen Ruandas protestierten und Unterstützung bei der Rückkehr in ihr Herkunftsgebiet – meist die ostkongolesischen Bürgerkriegsregionen am Kivu-See – oder bei der Weiterreise in ein anderes Land, etwa Uganda, forderten. Bei der Niederschlagung des Protests erschossen die ruandischen Repressionskräfte elf Flüchtlinge.[8]Roland Kalamo, Charlotte Alfred: „Please Tell Us Where We Belong“: A Deadly Refugee Protest in Rwanda. newsdeeply.com 04.04.2018. Wie Beobachter konstatieren, hat sich die Lage der Flüchtlinge in Ruanda seitdem nicht wirklich verbessert.[9]How Rwanda can do a better job of supporting refugees. theconversation.com 03.03.2019.

Blutige Repression

Hinzu kommt, dass die ruandische Regierung unter Präsident Kagame seit vielen Jahren wegen ihrer brutalen Repression berüchtigt ist. Menschenrechtsorganisationen berichten regelmäßig über willkürliche Inhaftierungen, illegale Hinrichtungen von Kriminellen und verschwundene sowie ermordete Regierungsgegner.[10]Lewis Mudge: No Space for Criticism of Rwanda. hrw.org 27.06.2019. Zuletzt wurde am 9. März der Leichnam des Sprechers einer prominenten Oppositionspolitikerin am Rand eines Waldgebietes im Westen des Landes gefunden; Dorfbewohner hatten beobachtet, wie er aus einem Auto geworfen worden war. „Eine freie Meinungsäußerung ist praktisch nicht möglich, und Stimmen, die der ruandischen Regierung nicht passen, sollen verstummen“, urteilt eine Mitarbeiterin des Ökumenischen Netzes Zentralafrika.[11]Johannes Buchmeister: Eine E-Mail zu viel. welt.de 03.04.2019. Präsident Kagame gewinnt Wahlen gewöhnlich mit 99 Prozent. Die brutale Repression in Ruanda ist seit vielen Jahren bekannt, wurde jedoch weitgehend beschwiegen, solange das Land als loyaler Parteigänger des Westens galt (german-foreign-policy.com berichtete [12]S. dazu Kriegspartner, Staatsbesuch und Beschwiegene Massaker.). Erst seit Kigali enger mit Beijing kooperiert, finden kritische Äußerungen etwas öfter Raum in der Berichterstattung deutscher Leitmedien.[13]Thilo Thielke: Gefährlicher Kampf. Frankfurter Allgemeine Zeitung 07.08.2019.

Berliner Entwicklungshilfe

Auf die Frage, was Präsident Kagame motiviere, Flüchtlinge aus Libyen nach Ruanda zu holen, ist regelmäßig zu hören, er erwarte von der EU finanzielle wie auch politische Gegenleistungen.[14]Camille Le Coz: EU-Rwanda plan: Another short-sighted answer to Libya migration crisis. thenewhumanitarian.org 16.08.2019. Tatsächlich wird Ruanda, eine frühere deutsche Kolonie, seit je von Berlin unterstützt – vor allem über das Entwicklungsministerium. Erst in der vergangenen Woche ist Entwicklungsminister Gerd Müller in Kigali gewesen und hat dort bekanntgegeben, Berlin werde Kigali noch mehr als bisher fördern – unter anderem mit einer Ausbildungsinitiative sowie mit Investitionen in Energie und die digitale Infrastruktur. Das geschehe auch mit Blick darauf, dass Volkswagen im vergangenen Jahr ein Werk in Kigali eröffnet habe und sich mittlerweile noch weitere deutsche Unternehmen für das Land interessierten.[15]„Ruanda auf Erfolgskurs“ – Minister Müller weitet Zusammenarbeit mit Ruanda aus. bmz.de 15.08.2019. Ruanda ist zudem – als eines von lediglich fünf afrikanischen Ländern – zum G7-Gipfel am kommenden Wochenende im französischen Biarritz geladen worden. Über eine mangelnde Kooperationsbereitschaft der EU kann sich Präsident Kagame nicht beklagen.

German Foreign Policy | 20.08.2019

Die „Option Ruanda“

Fußnoten

Fußnoten
1UNHCR: Libya-Niger situation. Resettlement update #74. 12.08.2019.
2Vgl. auch In die Rebellion getrieben.
3Alan Cowell: Rwanda Offers to Host African Migrants Stranded in Libya. nytimes.com 23.11.2017.
4, 5Michael Peel, Tom Wilson: Rwanda in talks on Libya migrant evacuation plan. ft.com 06.08.2019.
6Ivan R. Mugisha, Allan Olingo: Rwanda offers migrants stuck in Libya, Niger a safe haven. theeastafrican.co.ke 11.08.2019.
7, 14Camille Le Coz: EU-Rwanda plan: Another short-sighted answer to Libya migration crisis. thenewhumanitarian.org 16.08.2019.
8Roland Kalamo, Charlotte Alfred: „Please Tell Us Where We Belong“: A Deadly Refugee Protest in Rwanda. newsdeeply.com 04.04.2018.
9How Rwanda can do a better job of supporting refugees. theconversation.com 03.03.2019.
10Lewis Mudge: No Space for Criticism of Rwanda. hrw.org 27.06.2019.
11Johannes Buchmeister: Eine E-Mail zu viel. welt.de 03.04.2019.
12S. dazu Kriegspartner, Staatsbesuch und Beschwiegene Massaker.
13Thilo Thielke: Gefährlicher Kampf. Frankfurter Allgemeine Zeitung 07.08.2019.
15„Ruanda auf Erfolgskurs“ – Minister Müller weitet Zusammenarbeit mit Ruanda aus. bmz.de 15.08.2019.