Libyen stehe an einer Wegscheide, warnt IKRK-Präsident Peter Maurer in einem Interview in der SZ vom 17.02.2020. Das Land brauche jetzt einen glaubhaften Friedensprozess oder Menschen werden sich gezwungen sehen, zu flüchten. Maurer war unmittelbar vor seiner Teilnahme an der Münchner Sicherheitskonferenz von einer Reise nach Libyen zurückgekehrt.

(Die Front um Tripolis) hat dazu geführt, dass 150 000 bis 200 000 Menschen vertrieben worden sind und nicht in ihre Häuser zurückkönnen. Wir haben zum ersten Mal eine Schlacht, die so viele Menschen auf einmal betroffen hat. […]

Der Kreislauf des Ölverkaufs und der staatlichen Gehälter, die trotz des Konfliktes lange vielen Libyern ein Einkommen gesichert haben und eine Existenz, ist unterbrochen. Das hat dazu geführt, dass wir jetzt viel stärker mit dem Fehlen staatlicher Sozialsysteme konfrontiert sind, dass breite Schichten der Bevölkerung kein Einkommen mehr haben, dass der Staat kein Geld mehr hat, die durch Kampfhandlungen zerstörte Infrastruktur wiederherzustellen. […]

Noch verhungern in Libyen keine Menschen. Aber die Zerrüttung der libyschen Mittelschicht ist so weit vorangeschritten, dass wir jetzt ein ernstes politisches Problem bekommen auf allen Seiten des Konflikts, in Tripolis vielleicht am sichtbarsten. […]

Die gesamte Wasserversorgung an der Mittelmeerküste entlang wird ja mit Pipelines aus dem Sahel sichergestellt. Diese Leitungen haben in großen Teilen Lecks, die Folgen von Gefechten sind. Viele Leitungen werden nicht mehr bedient. Die Qualität und Quantität der Wasserversorgung sind daran geknüpft. Es sind solche Kettenreaktionen, die zu einem allmählichen Systemzerfall führen und die gerade zu einem großen Problem werden. Persönliche Vorräte und Vermögen, mit denen die Menschen versucht haben, sich durch die Krise zu retten, gehen bei einer großen Anzahl von Familien zur Neige.

Während die deutsche Außenpolitik versucht, die Ergebnisse der Berliner Libyen-Konferenz hoch zu halten, spricht Maurer von deren Realitätsfremdheit.

Es stimmt sicher nicht mit der heutigen Realität überein. Aber es kann auch sein, dass Willenserklärungen einer Konferenz eine gewisse Zeit brauchen, bis sie umgesetzt werden. Aber im Moment sind wir eher besorgt zu sehen, wie viele fremde Akzente und Sprachen hörbar sind, dort wo wir tätig sind, die nicht in Libyen beheimatet sind. Das zeigt, dass die Realität noch weit entfernt ist von den politischen Bekundungen.

Süddeutsche Zeituung | 17.02.2020

Im Tagesspiegel vom 17.02.20 wird derweil ausgeführt, dass Berlin seit Anfang 2019 Rüstungsexporte im Wert von 1,3 Mrd. € genehmigt hat in Staaten, die ihrerseits Waffen nach Libyen liefern.

Davon gingen Lieferungen in einem Gesamtwert von mehr als einer Milliarde Euro ausgerechnet an die Länder, die in Libyen den abtrünnigen General Chalifa Haftar unterstützen. Das geht aus Antworten der Bundesregierung auf parlamentarische Anfragen der vergangenen acht Monate hervor, die der Tagesspiegel ausgewertet hat. […]

Vereinigte Arabische Emirate wichtigste Unterstützer des Warlords

Der Golfstaat gilt als wichtigster Unterstützer des Warlords. Seit Anfang 2019 genehmigte die Bundesregierung den Export von Rüstungsgütern mit einem Gesamtwert von fast 257 Millionen Euro in die Vereinigten Arabischen Emirate. Im gleichen Zeitraum gab die große Koalition in Berlin grünes Licht für Waffengeschäfte mit Jordanien in Höhe von mindestens 20 Millionen Euro und für Exporte in die Türkei in Höhe von mindestens 28 Millionen Euro. Der tatsächliche Wert könnte für beide Staaten noch höher sein, weil für das letzte Quartal 2019 keine Daten verfügbar sind.

Neben den Emiraten gehörten auch Ägypten und Katar 2019 zu den zehn wichtigsten Empfängerländern deutscher Waffen. Deutsche Unternehmen erhielten von der Bundesregierung in den vergangenen 13 Monaten Genehmigungen für Rüstungsexporte nach Ägypten in einem Gesamtwert von mehr als 801 Millionen Euro. Nach Recherchen des Senders „Al Jazeera“ unterstützt die Regierung in Kairo regelmäßig Haftars Kämpfer mit Waffen. Der Golfstaat Katar schließlich durfte in Deutschland Rüstungsgüter im Wert von fast 240 Millionen Euro kaufen.

Der Tagesspiegel | 17.02.2020

 

Libyen: IRKR Präsident warnt vor Fluchtwelle