Der italienische Innenminister Matteo Salvini kündigt ein zweites „Sicherheitsdekret“ an. Es sieht eine Sondergerichtsbarkeit mit drakonischen Strafen für Seenotretter vor. Zeitgleich zu diesem spektakulären Vorhaben bringt das NGO-Schiff „Mare Jonio“ zum zweiten Mal gerettete Boat-people direkt nach Lampedusa. Die italienische Meerespolizei „Guardia di Finanza“, die für den maritimen Grenzschutz und die Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität zuständig ist, hatte die „Mare Jonio“ bis in italienische Hoheitsgewässer fahren lassen, dort gestoppt, aber nicht durchsucht, und dann nach Lampedusa durchgewinkt. Die abermalige Beschlagnahme des Schiffs und die Ermittlungen gegen die Schiffsbesatzung tun die Aktivist*innen als „Propaganda“ ab. Wie passen diese widersprüchlichen Entwicklungen zusammen?

In dem zurückliegenden knappen Regierungsjahr haben Salvini und seine Partei der „Lega“ einen rasanten Aufstieg erlebt. Demagogische rassistische Sprüche und die Kriminalisierung der Seenotrettung waren sein Rezept. Ein Anstieg der Todesrate auf 1:8 im zentralen Mittelmeer ist die Folge. Am kommenden Samstag wird Salvini auf einer Massenkundgebung mit Le Pen und Anderen in Mailand zum Leader der europaweiten Rechte ausgerufen werden.

Doch sein Rückhalt in den etablierten bürgerlichen Kreisen bröckelt. Die Regierung bekommt die Wirtschaftskrise vor allem in Süditalien nicht in den Griff. Das Regierungsvorhaben, „500.000 abzuschieben“, ist krachend gescheitert. Der Dauerstreit zwischen den Regierungsparteien blockiert zahlreiche Projekte. Salvinis Berater und Unterstaatssekretär Armando Siri, ein Mann der Korruption und der sizilianischen Mafia, konnte nur auf Druck des Staatspräsidenten Conte entlassen werden. Institutionen, die dem Innenministerium unterstehen, folgen anscheinend nicht mehr den Direktiven des Innenministers. Das Verteidigungs- und das hafenrelevante Transportministerium verbitten sich die Einmischungen des Innenministers.

Hinzu kommt, dass die italienischen Besitzstände in Westlibyen in Gefahr sind. Die EU-Rundreise des libyschen, von den UN eingesetzten Regierungschefs Fayez El-Serraj war ein kompletter Misserfolg, auch in Rom, Paris und London hat er keine Unterstützung gegen Haftar gefunden. Nach seiner Rückkehr ließ er eine Liste von 40 ausländischen Firmen veröffentlichen, denen er mit dem Rauswurf aus dem Land droht, darunter Siemens und Total.

Diese wachsenden Hindernisse und Machtlosigkeiten bilden den Hintergrund der Radikalisierung Salvinis. Mit Argwohn verfolgen Viele seine Annäherung an die faschistische Bewegung „Casa Pound“. Seine Fake-Twitter, mit denen er die in libysche KZs deportierten Boat-people verhöhnt, verstören. Zur Veranstaltung am kommenden Samstag in Mailand ruft er mit der Parole auf: „Entweder retten wir die EU oder unsere Söhne werden in einem islamischen Staat leben“, wie die Tageszeitung Il Giornale am 12.05.2019 titelt. So viel zu den Propaganda-Aktivitäten eines Radikalisierten.

Nicht nur die italienische NGO „Mediterranea Saving Humans“, die das Rettungsschiff „Mare Jonio“ betreibt, sieht Salvini geschwächt. Ihr jetziges Bündnis mit Kräften im Vatikan, im Parlament und bei Freiberufler*innen, die vor Jahrzehnten bittere Repressionsakte erleiden mussten, ist nur so erklärlich: Sie alle sehen die reale Chance, jetzt erst recht gegen das Massensterben im Mittelmeer und gegen die Deportationen zurück in die libyschen KZs vorzugehen.

Es geht dabei sowohl um die Rettungen aus dem Wasser wie auch darum, den Auftraggebern für die unterlassene Hilfeleistung und für die Deportation in die libyschen KZs das Handwerk zu legen. Investigation und neue politische Bündnisse sind dazu nötig.

„Mare Jonio“ auf deutsch übersetzt hieße:

Bekannte Politiker*innen der Linken, der Grünen und der SPD sowie Priester aus dem Umkreis der EKD und der DBK müssten auf der „Sea-Watch 3“ mitfahren, und Hacker vom Schlage WikiLeaks sollten eingeschaltet werden, um die Luftüberwachung über dem zentralen Mittelmeer auseinanderzunehmen. NGO-Gerettette an Bord dürften nicht mehr auf dem Meer zwischengeparkt, sondern müssten mit parteilichem und priesterlichem Segen sofort an Land gebracht werden.

Die brennende Wunde der libyschen KZs lässt sich nur durch Evakuierung lösen. Das sagt bisher lediglich der Vatikan. Einem europaweiten Linksbündnis stünde es an, diese Brücke von Libyen nach Europa zu bauen.

Radikalisierung Salvinis und die Seenotrettung im zentralen Mittelmeer