François Misser hat in der TAZ am 24.01.2020 einen Artikel unter diesem Titel veröffentlicht, der auf einem Gespräch mit Baudouin Michel beruht („Er ist gleichzeitig Professor für Agronomie an der Universität Gembloux in Belgien, Direktor der Kaffeeplantagen von Katale tief im Osten der Demokratischen Republik Kongo und Leiter der Erafit, der UN-finanzierten Kaderschule der Unesco für Nationalparkverwaltung in Afrika.“).

Der Sahel, insistiert Michel, sei Afrikas Problemgebiet Nummer eins – bei der Sicherheit, der Umwelt, der ökonomischen Entwicklung und den Lebensbedingungen der Menschen. „Es gibt keine Ressourcen mehr. Es sind arme Länder, es gibt zu wenig Wasser und die Wüste breitet sich aus. Und nun kommt der Druck der Islamisten dazu.“

Zwar könne man die Sahelstaaten nicht mit Afghanistan gleichstellen, aber „es gibt zahlreiche Parallelen“, findet er: ein außer Kontrolle geratenes Bevölkerungswachstum, eine am Boden liegende Landwirtschaft, fehlende Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt für die Jugendlichen, korrupte und schwache Staatsapparate, unbeschränkte Zirkulation von Kleinwaffen, Aufkommen von saudisch inspirierten radikal-islamischen Strömungen, uneinnehmbare Rückzugsgebiete für dschihadistische Kämpfer. […]

Was könnte man dagegen tun? „Es gibt drei Dinge, die gemeinsam angegangen werden müssen“, findet Michel. „Geheimdienstliche Aufklärung, Sicherheit und Entwicklung. Aber Sicherheit gibt es nicht mit den Methoden der Armee in Burkina Faso. Sie führt einfach Razzien durch, wie es einst im Algerienkrieg der Fall war, in Vietnam, in Afghanistan.“ Er habe darüber mit hohen burkinischen Verantwortlichen gesprochen und gesagt: „Ihr führt einen asymmetrischen Krieg. Euer Feind fährt Motorrad, trägt Jeans, ihr könnt ihn nicht erkennen, seine Waffe könnt ihr nicht sehen. Die Dorfleute werden euch nichts verraten, denn wenn sie reden, werden sie abends umgebracht.“
Die Armeen der Sahelregion seien in ihrem jetzigen Zustand zur Terrorbekämpfung ungeeignet. „Bei den Razzien verhalten sie sich schlecht, sie vergewaltigen, sie plündern, sie bringen die Bevölkerung gegen sich auf.“ Nötig sei eine gute geheimdienstliche Aufklärung, „aber in diesen Bereich wollen sie in Burkina Faso nicht investieren. Niemand hat eine ganzheitliche Vision.“

Im gleichen Beitrag zitiert Misser den Politologen Marc-Antoine Pérouse de Montclos, der kürzlich ein Buch mit dem Titel „Une guerre perdue: la France au Sahel“ veröffentlicht hat (siehe auch FFM 15.01.2020).

Auf einer Konferenz in Nigers Hauptstadt Niamey über Konfliktprävention im Bereich natürlicher Ressourcen in Westafrika, organisiert mit Hilfe der EU und der deutschen GIZ, trug Pérouse de Montclos vor: „Für einen Viehhirten ist es billiger geworden, seine Herde in die Gebiete von Boko Haram in Nigeria oder der Katiba Macina in Mali zu schicken. Er bezahlt die Zakat (islamische Steuer) und bekommt eine Quittung.“

Die Islamisten würden die Menschen weniger ausplündern, als es die Behörden tun. Aus islamistischer Gewalt wird islamistische Verwaltung, auf der Grundlage lokaler Arrangements oder Stillhalteabkommen. Die Katiba Macina ernennt bereits Richter zur lokalen Konfliktschlichtung in Regionen, wo die staatliche Justiz Malis nicht präsent ist.

Schon im November 2019 hat Katrin Gänsler in der TAZ  einen Bericht mit ähnlichem Tenor veröffentlicht.

In der gesamten Sahelzone von Mali, Burkina Faso über Niger bis zur Region rund um den Tschadsee, wo Nigeria, Kamerun und Tschad aufeinandertreffen, sind Millionen von Menschen auf der Flucht vor den sich ausbreitenden Angriffen terroristischer Gruppen. Sie sind immer besser vernetzt, und die Strategen der Terrorbekämpfung erscheinen immer ratloser.

Häufig kommt es in Grenzregionen zu Anschlägen und Angriffen, und häufig verlagern sich die Schauplätze sehr schnell. In Nigeria hat der „Islamische Staat in der Provinz Westafrika“ (ISWAP) – die Gruppe spaltete sich 2016 von Boko Haram ab und verfügt über 3.500 bis 5.000 Mitglieder – Kontakte zum „Islamischen Staat in der Größeren Sahara“ (ISGS) in Mali, Niger und besonders in Burkina Faso.

Bereits 2017 schlossen sich in Mali Ansar Dine, die Macina-Befreiungsfront und Al-Mourabitoun zur islamistischen Sammelbewegung Jama’at Nasr al-Islam wal Muslimin (JNIM) zusammen, die sich seitdem in Burkina Faso ausgebreitet hat. ISWAP breitet sich zunehmend aus Nigeria aus und verübt im Tschad kleinere Anschläge sowie offenbar gezielte Entführungen. Aus dem Norden Kameruns heißt es, dass kaum ein Tag ohne Angriffe von Boko Haram vergehe.

Islamisten versorgen Zivilbevölkerung

„Die Zahl der Gruppen ist groß“, bestätigt Issouou Yahaya, Geschichtsprofessor aus Nigers Hauptstadt Niamey. Neben den Terrorgruppen gebe es auch ehemalige Rebellengruppen der Tuareg – sie kämpfen nicht mehr mit den Islamisten, aber sie machen jetzt in Mali beim „nationalen Dialog“ auch nicht mit. Einzelne Kämpfer würden sich je nach Situation verschiedenen Bewegungen anschließen, sagt Yahaya.

Gerade wenn es eher um Söldnertum und weniger um Ideologie geht, vereinfacht das den Austausch von Informationen und Waffen. Es zeigt auch, dass sich frühere Spekulationen nicht bewahrheiten, dass sich die verschiedenen islamistischen Bewegungen in Machtkämpfen gegenseitig schwächen und zerstören – im Gegenteil.
Sie finanzieren sich über den Drogen- und Waffenhandel sowie Entführungen. Je weniger die Staatsmacht präsent ist, desto besser läuft das. Das zeigt beispielsweise die Entwicklung rund um dem Tschadsee. Dort baut Experten zufolge ISWAP eine Basisversorgung für die Zivilbevölkerung auf, wofür eigentlich der Staat zuständig ist. Auf diese Weise bindet die Terrorgruppe die Bevölkerung an sich, führt die Unfähigkeit des nigerianischen Staates vor und schafft sich so eine stille Reserve an Sympathisanten.

In The New Humanitarian gibt es eine Artikelserie mit dem Schwerpunkt Burkina Faso:

 

„Wie Saigon 1974“