Vermutlich wird das NGO-Rettungsschiff „Sea Watch 3“ mit über 40 Geretteten an Bord nach über 12 Tagen Blockade vor Lampedusa heute Nachmittag nach eigenem Entschluss in den dortigen Hafen einlaufen. Die Seenotretter*innen stützen sich dieses Mal auf die EU-Gerichtsbarkeit und auf den Erzbischof von Turin, der die Aufnahme der Geretteten zugesagt hat. Anders als früher haben die Verhandlungen mit der EU-Kommission über die Verteilung der Geretteten auf verschiedene EU-Länder nichts erbracht. Mit anderen Worten: Die EU-Staaten stehen, trotz mancher Verbalnoten, faktisch zum ersten Mal geschlossen hinter  der Abschottungs- und Kriminalisierungspolitik der italienischen Regierung.

In den letzten Monaten konnten NGO-Retter dank Informationen, die sie im zentralen Mittelmeer gewonnen hatten, mehrfach belegen, dass das Massensterben im Mittelmeer und die Push-Backs nach Libyen unter Beobachtung von Frontex und damit unter den Augen der EU stattfinden.

Video-Aufnahmen des NGO-Flugzeugs „Colibri“ dokumentieren nun die Vorgeschichte der zuletzt von „Sea-Watch 3“ Geretteten und die nachträgliche Entwicklung rund um das von ihnen zurückgelassene Boot. Die Zeitung „Avvenire“ veröffentlichte die Bilder ebenso wie die arabische Menschenrechtsorganisation Al-Marsad. Damit konnten die Piloten nachweisen, dass es sich bei den „Schleppern und Schleusern“ um dieselben Personen aus Zawiya – hier in zivil, sonst in Uniform – handelt, die als Partnermiliz des früheren italienischen Innenministers Minniti zur sogenannten „libyschen Küstenwache“ gemacht worden waren, welche von der EU finanziert und „ausgebildet“ wird. In dem jüngsten Fall demontierten sie, wie die „Colibri“-Dokumentation zeigt, den Motor von dem zurückgelassenen Boot anstatt es komplett zu versenken, was ihr Auftrag wäre. Dieselben Leute haben früher auf NGO-Rettungsschiffe geschossen und immer wieder abgefangene Boat-people in die libyschen KZs zurückdeportiert. Dieses Mal war „Sea Watch 3“ schneller.

Wir  brauchen all diese Informationen rund um Rettungen und Push-Backs, um immer wieder Gegeninformationen zu verbreiten. In Italien ist eine mediale Hetzkampagne im Gange, die einzelne Personen und Tools der Seenotrettung aufs Korn nimmt. Gestern publizierte die regierungsnahe Tageszeitung „Il Giornale“ eine Dokumentation zu den beiden NGO-Flugzeugen „Colibri“ und „Moonbird“ im Stil einer Enthüllungsstory, in der mit keinem Wort deren wesentliche Funktion, nämlich das Monitoring im zentralen Mittelmeeer, erwähnt wird. Stattdessen werden die Aktivist*innen, wie schon zuvor, als „Taliban der Flüchtlingsaufnahme“ und „unbeugsame Deutsche“ – ein Kampfbegriff aus dem Vokabular des Antiterrorismus – bezeichnet, die von der evangelischen Kirche in Deutschland finanziert werden.

Um der europäischen Lösung, dem EU-gesteuerten Massensterben im Mittelmeer, und der Kriminalisierung der Solidarität entgegenzutreten, benötigen wir eine breit angelegte, offensive Gegeninformation.

 

Zentrales Mittelmeer: Gegeninformation ausbauen!