Marwan Osman über die Situation in Khartum

Am 17. August haben das sudanesische Oppositionsbündnis und der Militärrat einen Vertrag zur Teilung der Macht unterschrieben und damit den Übergang zu einer zivil geführten Regierung auf den Weg gebracht. Was denkst Du dazu und welche Perspektiven siehst Du für die nahe Zukunft?

Der Vertrag wurde vom Kompromiss-Flügel der sudanesischen Opposition unterschrieben und das ist, wenn ich Dich korrigieren darf, nicht der Hauptstrom der Opposition. Der Vertrag repräsentiert bestimmte Klasseninteressen, die Interessen der seit der Unabhängigkeit (1956) herrschenden Klasse, aber nicht die Interessen der Mehrheit des sudanesischen Volkes. Letztlich repräsentiert er die Militärjunta und ihre traditionellen Verbündeten, die traditionell herrschende Klasse. Diese werden das Verhandlungsergebnis nicht tolerieren, obwohl ihnen viele Zugeständnisse gemacht wurden.

Zum ersten Mal hat auch die KP an den Verhandlungen teil genommen, als Teil der Alliance for Freedom and Change. Bedeutet das, dass die Partei ihre Strategie geändert hat?

Ich glaube Deine Information ist nicht korrekt: die KP hat sich wegen grundsätzlicher Differenzen mit der Allianz von den Verhandlungen zurückgezogen.

Nach dem 3. Juni hatten wir den Eindruck einer Bevölkerung im Belagerungszustand, Städte im Belagerungszustand. Es schien, als hätte die Revolution zu einem Polizeistaat geführt. Und es gab Spannungen innerhalb des Militärapparats, wodurch Aufbrüche möglich wurden. Wie wird sich das weiter entwickeln?

Die RSF ist eine Miliz und keine Polizei. Sie ist eine Macht, gesetzlos und ohne jede Disziplin. Der Kommandant der RSF (Hamdan Dagalo) hat zwar den Rang eines Generalleutnants, aber er hat nie eine militärische Ausbildung durchlaufen! Wenn wir seine Äußerungen der letzten zwei Monate resümieren, so sind diese fernab von den Forderungen des Volkes. Die Miliz kontrolliert die reichen Goldminen von Jabal Amir (Amir Mountain), zusätzlich zu dem Geld, das aus Saudi-Arabien und den VAE für die Entsendung von Söldnern zum Kampf im Jemen fließt.

8 Monate Kampf: Wie hat sich das auf den Alltag in Khartum ausgewirkt? Könntest Du uns etwas über die Quartierstrukturen und deren Entwicklung erzählen?

Natürlich hat der Kampf eine anhaltende Wirkung auf das Leben der Menschen, nicht nur in Khartum, denn Du weißt, dass der Aufstand von anderen Städten als Khartum ausging und sich dann über das ganze Land ausbreitete, und vor allem wissen wir, dass der Treibstoff dieser Revolution die Grass-Root-Strukturen der Menschen sind, die Tag für Tag um ihren Lebensunterhalt kämpfen müssen.
Die Nachbarschaftskomittees wurden seit 2013 aufgebaut und haben sich seither entwickelt. Du weißt, Khartum wird als Dreiecksmetropole bezeichnet, Khartum, Khartum Nord und Umdurman. In jeder dieser drei Städte gibt es eine Koordination zwischen benachbarten Stadtteilen, und Vertreter aus diesen Distriktkomitees bilden ein Komitee der Stadt und dann ein Komitee der ganzen Metropole.

Es gab eine große Präsenz von Frauen auf den Straßen. Glaubst Du, dass dies in Zukunft das Geschlechterverhältnis verändern könnte?

Tatsächlich ist das Auftreten von Frauen auf der Straße das Hauptmerkmal des Sudanaufstands. Ihre Anwesenheit hat das kulturelle Kapital des Sudan und die Legitimation der männlichen Dominanz im Sudan erschüttert. Und sie hat diese tief eingeprägte Kultur aus ihrem stabilen Zustand in eine Position gebracht, in der sie anfechtbar und kritisierbar wird, in der es Widerstand gibt, und das könnte zu Reformen führen.

Der Aufstand begann als Protest gegen die hohen Preise für Lebensmittel und Petroleum. Seitdem sind die Preise weiter in die Höhe geschnellt. Welche Auswirkungen hat dies?

Der rasante Anstieg der Preise löste den Aufstand am Anfang aus, aber danach kamen Parolen, die von einem hohen Bewusstsein und Wissen von Freiheit und Demokratie zeugen. Darüber hinaus hat der Aufstand ein altes sudanesisches Erbe und alte historische Bezugspunkte wiederbelebt, z.B. wurden Frauen als Kandaka bezeichnet, einen Titel für eine Königin oder Mutterkönigin im alten Königreich Kusch.

In Khartum gibt es eine hohe Zahl von Migranten: aus Eritrea sowie aus der Peripherie des Sudan. Wie hat sich der Aufstand auf sie ausgewirkt? Waren sie Teil des Aufstandes? Und gab es in den letzten Monaten Auswirkungen auf die Migrationsrouten?

Was die ostafrikanischen Migranten betrifft, die den Sudan als Transitland betrachten, so war ihr Leben während des Aufstands stark beeinträchtigt, da sie ihren Lebensunterhalt als Gelegenheitsarbeiter verdienen, und es war für sie fast unmöglich, Arbeit zu bekommen. Was die Binnenvertriebenen betrifft, so ist ihre Situation nicht besser als die der Migranten, wenn nicht sogar schlechter. Was die Migrationsrouten betrifft, so kann ich sagen, dass es für sie in Ermangelung jeglicher Rechte extrem gefährlich war, Khartum oder eine andere Stadt zu verlassen.

Gibt es Nachrichten, was der Aufstand für die Menschen in der Peripherie des Sudan, wie Darfur, Süd Kordofan oder Blue Nile, bedeutet hat?

Die Peripherie war der Ausgangspunkt des sudanesischen Aufstands; die Menschen dort tragen seit 1989 die Hauptlast des Widerstands. Sie litten unter Völkermorden, und diejenigen, die dem Tod entkamen, mussten in Lagern in der Nähe von Nachbarländern leben, nachdem ihre Dörfer niedergebrannt worden waren. Während des Aufstands ging das Töten weiter, ohne dass es bemerkt wurde, denn die Hauptkonzentration und -aufmerksamkeit war auf Khartum und die anderen Großstädte gerichtet.

Fasst man die Erfahrungen der letzten 8 Monate zusammen, mit diesem hohen Maß an Grass-Root-Aktivität, was hältst du von dem Begriff „leaderless revolution“?

Eigentlich begann die sudanesische Revolution als eine führerlose Revolution, die Menschen gingen spontan auf die Straße und prägten sehr geniale Slogans, die ihre Hoffnungen und Forderungen ohne Beteiligung der politischen Opposition oder der Gewerkschaften formulierten. Die Demos verbreiteten sich im ganzen Land. Die Opposition sah diese reifen Früchte und lief atemlos auf den Straßen hinterher, bis es ihr gelang, der Bewegung auf den Rücken zu springen, so dass falsche Führer der Revolution geschaffen und viele der Forderungen des Volkes verloren wurden.

Wir fragen uns, welche Auswirkungen der Aufstand auf die Nachbarländer wie den Tschad und Ägypten hat. Haben sich die Funken ausgebreitet?

Leider habe ich keine genaue Kenntnis darüber, was im Tschad geschieht, aber meines Wissens wurde im Tschad ein Organ ähnlich der Sudanesischen Berufsvereinigung gegründet, angeführt von der tschadischen Opposition. Wenn die Revolution im Sudan erfolgreich wäre, würde das sicherlich die gesamte Region, wenn nicht den ganzen Kontinent betreffen. Deshalb haben viele der regionalen Mächte (Diktaturen/Totalitäre Regime) kein Interesse an einem wirklichen Wandel im Sudan oder in einem der Länder der Region.

#Sudanuprising: Was folgt nach dem Abkommen?