Der Weblog JungleOfCalais entstand im März 2020, um die Situation der Exilierten im kontinentaleuropäisch-britischen Grenzraum während der Corona-Krise zu dokumentieren. Da direkte Recherchen aufgrund der Ausgangssperren momentan nicht möglich sind, wertet das Projekt die verfügbaren Medien- und Internetquellen aus und steht in Kontakt zu Akteuren vor Ort. Die Redaktion des Blogs lädt zur Mitarbeit an dem Projekt ein, das mit Unterstützung von bordermonitoring.eu kurzfristig begonnen werden konnte.

Die bisherigen Recherchen ergeben folgendes Bild:

In Calais lebten zu Beginn der Pandemie etwa 1000 Geflüchtete in prekären Zeltcamps, hinzu kommen etwa 500 in Grande-Synthe bei Dunkerque und weitere an anderen Orten Nordfrankreichs und Belgiens. Die Lebensbedingungen in den Camps sind menschenunwürdig und gesundheitsschädlich, was die Anfälligkeit für eine Infektion etwa mit dem Coronavirus stark erhöht. Der Zugang zu Wasser, Nahrung, Hygieneartikeln, elektrischem Strom, WLAN sowie medizinischer und rechtlicher Hilfe wird nur zu einem geringen Teil durch staatliche oder staatlich mandatierte Institutionen gewährleistet und beruht in der Hauptsache auf der Arbeit lokaler zivilgesellschaftlicher Vereinigungen und NGOs. Regelmäßige Räumungen durch die Polizei verstetigen die prekäre Situation und verhindern die Herausbildung einer migrantischen Infrastruktur in den Camps, ohne dass vor Ort alternative Unterkünfte bereitgestellt würden.

Vor allem in Calais haben sich die Räumungen zu einem absurden Ritual entwickelt: So wird das größte Camp, der „Jungle“ mit einer Ausdehnung von etwa 1000 x 200 Metern, seit Jahresbeginn täglich in den Morgenstunden geräumt, um nach dem Abzug der Polizei von den Bewohner_innen wieder in Besitz genommen zu werden.

Seit dem Beginn des Lockdown in Frankreich am 17. März unternahmen die Behörden nur halbherzige Versuche, die Ausbreitung des Coronavirus im Jungle und den anderen Camps zu unterbinden. Allgemeine Ratschläge, Verhaltensregeln und Verbote sind dort nicht einzuhalten, haben jedoch die zivilgesellschaftliche Hilfe erschwert und zum Teil unmöglich gemacht. Eine Kücheninitiative, die seit Jahren warme Mahlzeiten für die Verteilung in den Camps zubereitete, hat ihre Arbeit vorübergehend ausgesetzt. Mehrere Vereinigungen und Beobachter_innen berichten von einer massiven Verschlechterung der Versorgungslage sowie der medizinischen Situation.

Eine Evakuierung von Campbewohner_innen wurde nach dem Auftreten erster Corona-Infektionsfälle Anfang April unterbrochen, wobei die Kapazitäten an bereitgestellten Unterkunftsplätzen lediglich für einen Teil der Bewohner_innen ausreichen würden.

Währenddessen setzte die Präfektur Pas-de-Calais während des Lockdown und nach dem Auftreten der ersten Infektionen die Räumungen fort. Für den Zeitraum vom 17. März bis zum 4. April sind 54 Räumungen in erneute Obdachlosigkeit dokumentiert. Außerdem nutzte die Polizeibehörde die Ausgangsbeschränkungen, um die humanitäre Hilfe in den Camps sowie die Dokumentation der Menschenrechtssituation mit Bußgeldern zu sanktionieren, was bis zum 8. April 18 mal geschah.

Anders entwickelte sich die Situation in der belgischen Hauptstadt Brüssel, wo ebenfalls etwa 500 Migrant_innen auf ihrem Weg nach Großbritannien unter prekären Bedingungen lebten. Innerhalb weniger Tage stellten die lokalen und regionalen Behörden Unterkünfte bereit, die von einer zivilgesellschaftlichen Organisation betrieben werden.

JungleOfCalais | 04.2020

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