Der Massenmord vor der libyschen Küste findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Schmuggler transportieren ihre menschliche Ware nachts zu den Verstecken an den Stränden: Hunderte Farmen und Villen, sogenannte „Ghettos“, die von Mafianetzwerken aus den jeweiligen afrikanischen Heimatländern betrieben werden. 690.000 Migranten befinden sich nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zurzeit in Libyen, nur wenige wollen bleiben.

Mirco Keilberth

Die Chance, es in einem Schlauchboot lebend nach Italien zu schaffen, ist allerdings drastisch gesunken, seitdem Libyen die Seenotrettungszone, in der die eigene Küstenwache zuständig ist, auf 70 Kilometer ausgeweitet hat und weiter draußen die private Seenotrettung wegen der harten Haltung Europas nicht mehr funktioniert. Noch nie ertranken nach Berechnungen von Hilfswerken proportional so viele Migranten im Mittelmeer wie seit der Schließung der italienischen Häfen für Retter.

Die Freiwilligen des libyschen Roten Halbmondes in der Hafenstadt Zauwia, 40 Kilometer westlich von der Hauptstadt Tripolis gelegen, schätzen, dass jede Nacht dennoch zehn Boote von dem Küstenstreifen zwischen Tripolis und Zuwara ablegen. Offizielle Angaben dazu gibt es nicht, da die Küstenwache nur noch selten hinausfährt. „Viele der Marinesoldaten erhalten Drohungen von den Schmugglern, aber auch von Freunden oder Verwandten“, sagt der Journalist Taher Zaroog aus Misrata. „Sie riskieren bei den Rettungsaktio­nen ihr Leben, doch niemand will die Schwarzafrikaner in Libyen. Und es steigen auch immer mehr einheimische junge Leute in die Boote, weil sie die Hoffnung auf Frieden aufgegeben haben.“

Trotz der deutlich gestiegenen Risiken: Die Migrationsroute aus Westafrika ans Mittelmeer, aus der Metropole Lagos in Nigeria über Agadez im Niger bis in die libyschen Küstenorte Zauwia, Garabulli und Zuwara, floriert wieder. Das liegt auch daran, dass die Einheitsregierung unter Übergangspremierminister Fayez Serraj in der libyschen Hauptstadt Tripolis, formell der Partner der EU bei der Abwehr von Flüchtlingen, so schwach ist wie nie. […]

taz | 10.10.2018

Siehe auch

Mirco Keilberth, Raniah Salloum, Warum der EU-Deal mit Libyen ins Wanken gerät, Spiegel Online

„Das Geschäft mit den Flüchtlingen: Massenmord vor der libyschen Küste“