Richter Joseph Mifsud verkündete am Vormittag des 14.05.2019 ein Schandurteil gegen die Seenotrettung im zentralen Mittelmeer, das angesichts des massenhaften Sterbenlassens von Boat-people als Präzedenzfall oder Unikum in die Geschichte der Festung Europa eingehen wird. Das Schiff „Lifeline“ hatte im Juni 2018 234 Boat-people gerettet, die anschliessend über Malta auf EU-Staaten verteilt wurden. Das Gericht verurteilte den Kapitän der „Lifeline“ zu einer Geldstrafe in Höhe von 10.000 Euro.

Die Seenotretter*innen, deren Schiff seit knapp einem Jahr in Malta festgehalten wurde, sagen: “Open source data from IOM’s Missing Migrants project estimates that over 1,500 people have lost their lives in the Mediterranean during our 322-day detention. As long as people continue to risk their lives, and drown, in pursuit of peace and safety, we will extend our hand in support.” […]

Times of Malta | 14.05.2019

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Urteil gegen „Lifeline“-Kapitän: Der Störfaktor

Claus-Peter Reisch muss nach der Seenotrettung aus dem Mittelmeer 10.000 Euro spenden. Das Urteil wiegt schwerer als die Geldstrafe.

Christian Jakob

Seit Dienstag ist es da: das erste Urteil, das die zivilen europäischen Seenotretter im Mittelmeer schuldig spricht.

Natürlich haben die Richter auf Malta nicht hineingeschrieben, dass die 10.000 Euro Strafe fällig werden, weil der Kapitän des deutschen Schiffes „Lifeline“, Claus-Peter Reisch, 230 Menschen vor dem Ertrinken bewahrt hat. Offiziell erging der Richterspruch, weil die NGO ihr Schiff in den Niederlanden nicht korrekt habe registrieren lassen.

Die „Lifeline“ hatte im Juni 2018 vor der libyschen Küste 234 Flüchtlinge gerettet und war danach tagelang über das Mittelmeer geirrt, weil Italien und Malta dem Schiff ein Anlegen verweigert hatten. Schließlich durfte das Schiff in Malta vor Anker gehen. Der nach eigener Auskunft „konservative Bayer“ und fast lebenslange CSU-Wähler Reisch wurde jedoch festgehalten und von der Polizei vernommen.

„Es kann nicht sein, dass wir ein Registrierungspapier haben, das circa 25.000 andere Schiffe, die in den Niederlanden registriert sind, ebenso besitzen, und ausgerechnet unseres nicht gelten sollte“, sagte Reisch nach der Verhandlung am Dienstag.

Tatsächlich ging es niemals wirklich um die Frage, ob es zulässig war, die „Lifeline“ als Sportboot im königlich-niederländischen Marineregister einzutragen, oder ob es nicht doch das Frachtschiffregister hätte sein müssen. Diese Formalie war ein Vehikel, um die „Lifeline“ an die Kette zu legen.

Das Urteil wiegt symbolisch schwer

Die RetterInnen sollen weg vom Meer. Sie sollen niemanden mehr nach Europa bringen und sie sollen auch nicht länger jedes einzelne der immer weiter gehenden Unglücke dokumentieren und der europäischen Öffentlichkeit unter die Nase reiben. Sie sind Störfaktoren.

Das ist der Grund, warum Reisch verurteilt wurde, es ist der Grund, warum die Niederlande, Panama, Gibraltar und Deutschland den Rettungsschiffen Flaggen entzogen haben oder verweigern. Es ist der Grund, warum Rettungsschiffe und Suchflugzeuge mit Auslauf- oder Startverboten und „Festhalteverfügungen“ belegt oder gleich ganz beschlagnahmt werden. Und es ist der Grund, warum anderen RetterInnen in Italien noch weit höhere Strafen drohen.

Das Urteil wiegt symbolisch umso schwerer, als dass es nicht in Italien oder Ungarn ergangen ist, wo die Verfolgung der FlüchtlingshelferInnen mittlerweile zu einer Art Staatsziel erhoben wurde. Es fiel in Malta – dem Land, das den RetterInnen seit Jahren als Basis diente und das eben nicht von xenophoben Hardlinern wie Italiens Innenminister Matteo Salvini regiert wird.

Doch der kleine sozialdemokratisch regierte Inselstaat sah sich offenbar zu diesem Schritt gedrängt. Denn seit Italien im letzten Jahr seine Häfen für Flüchtlinge schloss, herrschte auf Malta die Angst, die SeenotretterInnen könnten die Menschen künftig dorthin bringen – und kein EU-Staat würde sie ihnen abnehmen. Abwegig war diese Befürchtung nicht.

Mission Lifeline will die Strafe nicht akzeptieren und Berufung einlegen. Deshalb bekommt die NGO ihr Schiff vorerst nicht zurück. Jeder Tag, seitdem es vor elf Monaten festgesetzt wurde, kostet rund 500 Euro. Und trotzdem hatte die NGO genug Geld, sich vor zwei Wochen ein neues Schiff zu kaufen, mit dem sie im Juni wieder in See stechen will.

Seit Januar sind 307 Menschen vor Nordafrika ertrunken

Das ist die gute Nachricht: Das Vorgehen von Justiz und Behörden gegen die RetterInnen kostet diese unwahrscheinlich viel Zeit, Geld und Energie. Ausgeschaltet hat es sie indes nicht. Es scheint, als setze die Konfrontation bei der Zivilgesellschaft immer neue Kräfte frei.

In diesen Tagen ist die „Sea Watch 3“ wieder im Einsatz, nachdem sie in den Niederlanden vor Gericht ihre Flagge vorerst zurückerstritten hatte. Und im Juni wird nicht nur das neue Schiff der Lifeline auslaufen, sondern auch eine Flotte privater Yachten: Die BootseignerInnen wollen von Sizilien nach ­Lib­yen segeln und die Öffentlichkeit Europas zwingen, zu sehen, was sie nicht sehen soll.

Denn seit Anfang des Jahres sind mindestens 307 Menschen vor Nordafrika ertrunken. Die weitaus meisten könnten heute noch leben, wenn die RetterInnen auslaufen dürften.

Vor allem seitdem die Kämpfe in Libyen im April die Hauptstadt Tripolis erreicht haben, ist die Lage für Flüchtlinge und MigrantInnen immer schlimmer geworden. Fast jeden Tag dringen neue, grauenhafte Schilderungen aus den Lagern.

Wer ihnen entkommt, wird wieder eingefangen und zurückgebracht. Wenn es nach der EU geht, soll das so bleiben. Leute wie der „Lifeline“-Kapitän Claus-Peter Reisch stören dabei. Und das sollen sie zu spüren bekommen.

taz | 14.05.2019

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Ein guter Überblick über die aktuelle Situation der internationalen NGO-Rettungsboote im Mittelmeer findet sich in einem Artikel der Deutschen Welle.

Private Seenotrettung unter Druck

Ein Gericht hat den Kapitän des Flüchtlingsrettungsschiffs „Lifeline“ zu einer Geldstrafe verurteilt. Vor allem Malta und Italien gehen verstärkt gegen private Rettungsschiffe im Mittelmeer vor. Ein Überblick. […]

DW | 14.05.2019

Malta: Schandurteil gegen Seenotrettung