Die geopolitischen Spannungen im östlichen Mittelmeer nehmen rasant zu. Vor wenigen Tagen kündigte Frankreich an, Kriegsschiffe in die Region zu verlegen, in der große Vorkommen fossiler Energieträger vermutet werden. Im östlichen Mittelmeer sollen rund 3,5 Billionen Kubikmeter Erdgas und 1,7 Milliarden Barrel Erdöl lagern. Mit dem militärischen Manöver reagiert Paris auf die zunehmenden Drohgebärden der Türkei, die weitgehende Ansprüche auf Teile der exklusiven Wirtschaftszonen von den Mittelmeeranrainern Griechenland, Zypern oder Ägypten erhebt.

Griechenlands konservativer Premier Kyriakos Mitsotakis begrüßte die Verlegung mehrerer französischer Fregatten in griechische Gewässer umgehend, da sie eine „Garantie für Frieden“ in der Region darstellten. Macron sprach in diesem Zusammenhang von einem neuen Rahmenwerk einer „strategischen Verteidigung“ beider Länder, das nun aufgebaut würde. Diese griechisch-französische Allianz richtet sich gegen Ankara, sie stellt laut dem britischen Guardian einen Versuch dar, der zunehmenden „türkischen Streitlust im Mittelmeer“ entgegenzuwirken. […]

Eskortiert von Militärschiffen operiert derzeit ein türkisches Bohrschiff in der Exklusiven Wirtschaftszone Zyperns. Diese nun von der Türkei angezapften Gasvorkommen in den zypriotischen Gewässern wollte die Regierung in Nikosia gemeinsam mit dem französischen Konzern Total und dem italienischen Unternehmen Eni erschließen. Die türkische Armee besetzte 1974 den nördlichen Teil der Insel, um dort den international nicht anerkannten Marionettenstaat „Türkische Republik Nordzypern“ zu errichten.

Die Verlegung französischer Marineverbände in die Region geht mit einem scharfen rhetorischen Schlagabtausch zwischen Paris und Ankara einher. Der französische Präsident Macron beschuldigte seinen türkischen Amtskollegen Erdogan, die auf der Berliner Libyen-Konferenz eingegangenen Verpflichtungen bereits gebrochen zu haben. […]

Der einstig bemühte deutsch-französische „Motor“ europäischer Integration läuft in dieser essenziellen außenpolitischen Frage schlicht nicht.

Während Frankreich gegenüber Ankara auf Härte setzt, verfolgt Merkel weiterhin die Politik des Appeasements. Merkels Nachgiebigkeit ging sogar so weit, dass Griechenland auf Erdogans Wunsch nicht zur Berliner Libyen-Konferenz geladen wurde. Die nationalen Partikularinteressen von Berlin und Paris überlagern inzwischen die Bemühungen, eine gemeinsame außenpolitische Frontstellung gegenüber der zunehmend destabilisierend wirkenden und sich rasch islamisierenden Türkei zu finden. Inzwischen scheinen auch die Beziehungen zwischen Ankara und Moskau belastet, nachdem Erdogan aufgrund der erfolgreichen Regimeoffensive in Idlib vor einem ernsthaften „Bruch“ mit Moskau warnte.

Diese zunehmende Erosion des Westens als eines einigermaßen kohärenten geopolitischen Machtblocks wurde schon bei dem letzten Nato-Gipfel deutlich, als Macron die Türkei scharf wegen ihres Angriffskrieges in Rojava angriff und das westliche Militärbündnis als „hirntot“ bezeichnete. Diese harte Kritik an der Nato koppelte Macron mit einer raschen Annäherung an Moskau.

Die „multipolare Weltordnung“ ist somit bereits Wirklichkeit, die im Zuge des hegemonialen Abstiegs der USA längst absehbar war. Das Ende der US-Hegemonie bringt aber im Rahmen der zunehmenden spätkapitalistischen Krisenkonkurrenz kein Ende der geopolitischen Konflikte und militärischen Abenteuer mit sich. Im Gegenteil: Die USA sind nur noch ein – wenn auch wichtiger – geopolitischer Spieler unter vielen Groß- und Regionalmächten, die nun in einem erodierenden Weltsystem mit allen Mitteln auf Expansionskurs gehen – etwa im östlichen Mittelmeer. (Tomasz Konicz)

Telepolis | 01.02.2020

 

„Erdogans Mare Nostrum?“