Im Oktober 2004 landeten in einer Woche 1.787 Boat-people auf Lampedusa. Sofort ließen italienische Behörden über 1.000 Angelandete in libysche Internierungslager ausfliegen. Vom 28. November bis 6. Dezember 2004 hielt sich eine Delegation der EU-Kommission in Libyen auf, um die dortigen Internierungslager und Grenzanlagen zu besichtigen und Absprachen für eine verschärfte migrationsfeindliche Abschottung zu treffen. Die Finanzierung von Abschiebeflügen und weiteren Lagerbauten, die Lieferung von polizeilichen Kontrolldispositiven, die Schulung libyscher Grenzer und Polizisten durch Spezialkräfte aus EU-Staaten wurden verabredet. Im Bericht der Delegation findet sich u.a. eine detaillierte Beschreibung des libyschen Archipels der brutalen Internierungslager in Libyen.

Anfang Juni 2005 lobte der EU-Ministerrat die Einbeziehung Libyens in den „Kampf der EU gegen die illegale Migration“. Mitte Juni 2005 teilte EU-Kommissar Frattini in Tripolis mit, dass die ersten konkreten Schritte „bei der Ausbildung von Grenzwächtern und Polizeibeamten“ und vieler weiterer gemeinsamer Maßnahmen umgesetzt werden. Heute veröffentlicht die TAZ Recherchen zu Nazi-Hintergründen von deutschen Polizisten, die ab 2005 nach Libyen gingen und später eigene Sicherheitsfirmen eröffneten. Die Spuren reichen bis zum NSU und bis zu Uniter.

TAZ-Recherche zu rechtem Netzwerk: Hannibals Reisen

Zwischen 2005 und 2007, vielleicht auch noch später, reisten Polizisten und Soldaten aus Deutschland in die libysche Hauptstadt Tripolis, manche blieben Wochen, manche Monate. Insgesamt waren mindestens 30 aktive oder ehemalige deutsche Beamte hier. […]

Es gibt Leute, die bei Uniter mitmischen, die solche Schulungen bereits gemacht haben. Vor ein paar Jahren – in Libyen. Einer dieser Männer heißt Thomas B. Es gibt zahlreiche Dokumente, die ihn beschreiben, Akten der NSU-Ermittlungen etwa und Gerichtsurteile. Als Präzisionsschütze ausgebildet, war er mal Polizeihauptkommissar, Einheitsführer bei der Böblinger Bereitschaftspolizei-Einheit 523. Der Chef von Michèle Kiesewetter also. Und von Uniter-Mitgründer Ringo M. […]

B. ist gerade mal ein paar Monate Einheitsführer in Böblingen, als er im Oktober 2005 das erste Mal nach Libyen reist und dann immer wieder. Mit ihm arbeiten mindestens zwei weitere Polizisten aus Baden-Württemberg als Ausbilder: Ein Mitarbeiter aus seiner Einheit und ein befreundeter Polizist vom SEK. Mehrere Quellen aus dem privaten und beruflichen Umfeld bezeugen: B. war die treibende Kraft des Trios. Sie bezeugen auch, dass B. mit Hannibal, dem Kopf des Schattennetzwerks, Kontakt pflegt. Bis heute.

Thomas B. hat heute eine kleine Firma, mit Sitz in der Stuttgarter Innenstadt. Der Freund vom SEK, der ebenfalls in Libyen war, ist sein Geschäftspartner. Sie beraten Firmen, die Mitarbeiter in unsichere Staaten schicken wollen. Spezialgebiet: Libyen. […]

TAZ | 16.03.2019

Libyen: Ab 2005 deutsche Söldner gegen Boat-people? – „Hannibals Reisen“