Erneute Abschiebewelle von Algerien nach Niger +++ Auch aus Marokko werden Abschiebungen nach Subsahara-Afrika gemeldet +++ Die Menschenrechtsorganisation Alarme Phone Sahara verurteilt das rassistische Vorgehen der Maghrebstaaten sowie die Zusammenarbeit der Maghrebstaaten mit der europäischen Abschottungspolitik +++

Im Zuge der schrittweisen Lockerung der Maßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie haben auch die afrikanischen Länder ihre Grenzen wieder für Reisende und Waren geöffnet. Umso ausdrücklicher bedauert das Alarme Phone Sahara (APS), dass diese Normalisierung auch mit einer Intensivierung der Ausweisungen und Abschiebungen in das westafrikanische Transitland Niger einhergeht. Konkret wurden von Ende September bis Anfang Oktober 2020 über 1.500 Migrant*innen aus verschiedenen Ländern Subsahara-Afrikas nach Niger abgeschoben.

 

Neue Abschiebekonvois von Algerien nach Niger

Erstmalig gab der algerische Innenminister Kamel Beldjoud in einer parlamentarischen Plenarsitzung am 30. September 2020 bekannt (so die Online-Zeitung Algérie Éco), dass mehr als 1.500 „illegale“ Migrant_innen nach Niger abgeschoben wurden. Diese Aussage entspricht den Beobachtungen der Mitarbeiter des Alarme Phone Sahara (APS) in Assamaka, die die Ankunft von 1.470 Personen bestätigt haben. Die betroffenen Personen wurden zwischen dem 30. September und dem 3. Oktober 2020 in Assamaka an der algerisch-nigrischen Grenze ausgesetzt: Zunächst wurden am 2. Oktober 494 nigrische Staatsbürger_innen (darunter 115 Mädchen und minderjährige Jungen) im Rahmen eines zwischen den algerischen und nigrischen Behörden offiziell vereinbarten Konvois aus Algerien abgeschoben. Sodann wurden am 30. September und am 2. Oktober 2020 976 Personen verschiedener Nationalitäten (darunter zwei Mädchen und zwei minderjährige Jungen) in „inoffiziellen Konvois“ abgeschoben, d.h. ohne direkte Beteiligung der nigrischen Behörden. Den Angaben der APS-Mitarbeiter zufolge sind 332 der Abgeschobenen bereits am 4. Oktober 2020 nach Agadez weitertransportiert worden, alle anderen sind immer noch in Bussen zwischen Assamaka und Agadez unterwegs. In Agadez werden die Abgeschobenen in Lagern untergebracht, die von der IOM verwaltet werden.

Der algerische Innenminister Beldjoud betonte, die Ausweisungen seien „freiwillig“ und würden „in Übereinstimmung mit internationalen Abkommen und Konventionen (…) unter Achtung der Menschenrechte und der Menschenwürde“ erfolgen. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen jedoch, dass die algerischen Sicherheitskräfte bei Massenabschiebungen von Algerien nach Niger regelmäßig systematische Gewalt und Misshandlungen gegenüber den Abgeschobenen ausüben. Darüber hinaus werden Menschen, die in „inoffiziellen Konvois“ abgeschoben werden, meist im Grenzgebiet 15 oder 20 Kilometer von Assamaka entfernt ausgesetzt. Es sei daher ausdrücklich betont, dass das kleine Grenzdorf Assamaka, in dem sich der IOM-Aufnahmeposten für Abgeschobene befindet, ein kleiner Ort mitten in der Wüste ist. Entsprechend besteht die Gefahr, dass sich die Abgeschobenen bei ihrem Fußmarsch durch die Wüste verirren. In Assamaka ist es kaum möglich, die elementaren menschlichen Grundbedürfnisse nach Wasser, Nahrung, einer Unterkunft, Duschen und Toiletten zu befriedigen.

 

Der algerische Staat und seine Hetzpolitik auf Migrant_innen

Seit mehreren Jahren gibt es auf der Grundlage eines 2014 unterzeichneten bilateralen Abkommens regelmäßig Massenausweisungen von Algerien nach Niger. Bei den Opfern handelt es sich um nigrische Staatsbürger_innen, von denen viele nach Algerien als Saisonarbeiter_innen migrieren. Zugleich sind aber auch Menschen aus vielen anderen Ländern südlich der Sahara von Abschiebungen aus Algerien betroffen.

Die jüngste Abschiebungswelle fällt in eine Zeit, in der der algerische Staat eine interministerielle Kommission unter der Aufsicht des Innenministers zur Bekämpfung der sogenannten „illegalen“ Migration gebildet hat. Zu den vom Minister angekündigten „ergänzenden Maßnahmen“ gehören gemeinsame Straßensperren von Polizei und Gendarmerie an den Grenzübergängen, der Abriss „anarchischer Unterkünfte“ wie Hütten oder Baugrundstücke, die Zerschlagung von Aufnahmestrukturen für Migrant_innen und die automatische Beschlagnahmung von Fahrzeugen.

Diese Art von Kriegserklärung gegen Migrant_innen in Algerien liegt im Interesse der algerischen Behörden, die Zahl der Migrant_innen zu reduzieren – auch als Antwort auf den Rassismus innerhalb der einheimischen Gesellschaft. Derzeit unterhält der algerische Staat keine offiziellen migrationspolitischen Vereinbarungen mit der Europäischen Union, stellt sich aber indirekt als zuverlässiger Hüter des Grenzregimes der EU-Staaten dar. In diesem Zusammenhang erhalten das algerische Militär und die Polizei auch große Mengen an Militär- und Sicherheitsgütern, unter anderem Überwachungstechnologie und Fahrzeuge.

 

Marokko: Vertreibungen in den Senegal, nach Guinea und an die algerische Grenze

Gleichzeitig berichtete Hassane Amari, ein im marokkanischen Oujda ansässiger Menschenrechtsaktivist, der unter anderem für das Watch the Med Alarmphone im Mittelmeer tätig ist, von großflächigen Abschiebungen aus Marokko in den Senegal und nach Guinea im Zeitraum von Ende September bis Anfang Oktober 2020. Amari weist darauf hin, dass diese Vertreibungen in enger Zusammenarbeit zwischen den marokkanischen Behörden und den Botschaften von Senegal und Guinea erfolgten. Unter anderem wurden in Conakry 28 Frauen ausgewiesen. Laut Medienberichten aus dem Senegal wurden 144 Senegales_innen mit zwei Flügen von Dakhla in Südmarokko abgeschoben. Berichten zufolge versuchten sie, mit einem Boot nach Europa – wahrscheinlich zu den Kanarischen Inseln – aufzubrechen und wurden vor Dakhla aus dem Meer geholt.

Darüber hinaus berichtet Hassane Amari, dass Migrant_innen und Geflüchtete kürzlich aus den Städten Tanger, Nador, Rabat, Casablanca und Elhoucima an die marokkanisch-algerische Grenze bei Tiouli in der Region Jerrada (60 Kilometer entfernt von der Stadt Oujda) abgeschoben wurden. Laut Amari wurden von Anfang Juli bis Ende September 2020 157 Personen an dem Grenzübegrang ausgesetzt, darunter 9 Frauen, 11 Minderjährige und 7 Verletzte. Solche Abschiebungen an die algerische Grenze von Menschen, die in den Großstädten des Landes verhaftet werden, werden in Marokko seit Jahren immer wieder durchgeführt, unter anderem um sie an der Ausreise nach Europa zu hindern.

In nur wenigen Tagen haben Marokko und Algerien mehr als 1.600, vielleicht sogar mehr als 2.000 Menschen aus vielen verschiedenen, meist afrikanischen Ländern ausgewiesen. Das Alarme Phone Sahara verurteilt diese Abschiebepraktiken und rassistische Gewalt in den Maghreb-Ländern und ihre direkte und indirekte Zusammenarbeit mit dem Grenzregime der europäischen Staaten. Das Alarme Phone Sahara fordert ein Ende aller Ausweisungen und Abschiebungen sowie die Achtung der Menschenrechte und Bewegungsfreiheit für alle Migrant_innen und Geflüchtete!

Pressemitteilung Alarmphoe Sahara 05.10.20

Erneut Abschiebungen in die Wüste