Früher wurden Ertrinkende mit Schiffen gerettet. Heute sehen Drohnen auf sie hinunter

D. Howden, A. Fotiadis, A. Loewenstein

[…] Schiffe, die Menschen retten, durch Drohnen zu ersetzen, die dies nicht können, das ist für Kritiker eine zynische Missachtung des Gebots, Menschenleben zu schützen. „Drohnen sind nicht verpflichtet, mit einer Ausrüstung für Bootsflüchtlinge unterwegs und für Rettungsaktionen bereit zu sein“, sagte Erik Marquardt, der für die Grünen im Europaparlament sitzt. Zuletzt hat sich die Todesrate unter Migranten, die es riskieren, das Mittelmeer zu überqueren, deutlich erhöht. Im Juli lag sie bei 14 Prozent. Insgesamt starben bisher 567 der geschätzt 8.360 Menschen, die 2019 über das Meer Europas Küste zu erreichen suchten.

Seit März hat die EU-Schiffsmission „Operation Sophia“ ihre Schiffe aus den Gewässern zurückgezogen, in denen die meisten Boote mit Migranten gesunken sind. „Sophia“ war zwar nicht primär eine Such- und Rettungsmission, jedoch nach internationalem Seerecht verpflichtet, Schiffen in Not zu helfen. Wird auf Drohnen umgeschwenkt, so ist dies offenkundig Ausdruck einer Strategie, das Mittelmeer zu überwachen, ohne in Rettungsaktionen verwickelt zu werden und Migranten an europäische Küsten bringen zu müssen. „Es handelt sich um eine Möglichkeit, Geld auszugeben, ohne Verantwortung übernehmen zu müssen“, urteilt Gabriele Iacovino, Direktor der italienischen Denkfabrik „Zentrum für Internationale Studien“. Für ihn kommt eine Luftüberwachung ohne Schiffe im Wasser einer „Marinemission ohne Schiffsflotte“ gleich. Augenscheinlich solle in der EU peinlicher politischer Streit darüber vermieden werden, was mit geretteten Migranten geschehen soll. […]

Dass bei der Beobachtung des Mittelmeers auf Drohnen zurückgegriffen wird, hat kaum überraschend den Verdacht erhärtet, Frontex gebe Informationen über die Position von Migrantenschiffen an die libysche Küstenwache weiter, damit die sie abfangen und zurück nach Libyen bringen könne. Obwohl diese Einheiten EU-Gelder erhalten, handelt es sich keineswegs um klar definierte Formationen. Häufig ist das Personal nicht eindeutig von Schmuggelbanden und den Besitzern von Internierungslager zu trennen. […]

Omer Shatz, ein Israeli, der an der Sciences Po Universität in Paris unterrichtet, […] ist der Ansicht, Frontex-Drohnenführer könnten strafrechtlich für ihre Hilfe bei Rückführungen verantwortlich gemacht werden. „Die Person, die eine Drohne lenkt und ein Migranten-Boot in Seenot entdeckt, ist verpflichtet, grundlegende Rechte wie die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit und Würde der Betroffenen zu garantieren. Das bedeutet, diese Person muss die notwendigen Schritte einleiten, um diese Menschen zu suchen, zu retten und die Geretteten in einen sicheren Hafen an Land zu bringen. Wer hingegen dazu beiträgt, dass hilflose Zivilisten in die Hände libyscher Milizen geraten, könnte sich strafbar machen.“ […9

Auf Anfrage der Autoren erklärte Frontex, dass alle Drohnen-Piloten – seien es eigene Angestellte oder Mitarbeiter von externen Dienstleistern – dem EU-Recht unterliegen, das den Schutz des menschlichen Lebens fordert. Die Agentur lehnte es freilich ab, eine Kopie der Einsatzanweisungen an die Drohnen-Piloten für den Fall, dass sie auf Boote in Seenot treffen, zur Verfügung zu stellen. Verwiesen wird stattdessen auf die Möglichkeit, einen Antrag im Rahmen des Gesetzes für Informationsfreiheit zu stellen.

Nach Angaben der EU-Agentur sind die bisher ausgesandten Drohnen im Mittelmeer nur in vier Fällen – zu allen kam es im Juni – auf Boote in Not gestoßen. Kein Vorfall habe jedoch „einen ernsten Zwischenfallbericht“ – der Frontex-Jargon für akute Not – erfordert. Als in den gleichen Meeresgebieten während der letzten Jahre EU-Schiffe eingesetzt waren, wurden nach den vorliegenden Dokumenten jeden Monat zahlreiche „ernste Zwischenfälle“ angezeigt.

der Freitag | Ausgabe 34/2019

Frontex: „Das fliegende Auge“