Endlich: Wie die Tageszeitung „La Repubblica“ heute schreibt, ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen die italienische Leitung der sogenannten libyschen Küstenwache. Staatsanwalt Salvatore Vella ist in Agrigent mit den Ermittlungen im Fall des NGO-Schiffs „Mare Jonio“ befasst, das am 20.03.2019 fünfzig gerettete Boat-people nach Italien gebracht hatte. Vella ermittelt nicht nur gegen die leitende Schiffsbesatzung, sondern hat die Ermittlungen auf das Geschehen in der sogenannten libyschen Search-and-Rescue-Zone ausgeweitet und Dokumente des UNHCR sowie der International Maritime Organization hinzugezogen. In der Folge hat der Staatsanwalt die Offiziere des italienischen Kriegsschiffs „Capri“ angehört, das im Rahmen der Nauras-Mission im Hafen von Tripolis stationiert ist.

Was dabei heraus kommt, ist nicht neu, wird nun aber juristisch aktenkundig und kann gravierende Folgen haben.

Die NGO „Mediterranea Saving Humans“, die das Rettungsschiff „Mare Jonio“ betreibt, und der NGO-Flieger „Moonbird“ hatten die Funkkommunikation des 18.03.2019 mitgeschnitten und mit einer eigenen Auswertung veröffentlicht. „FFM-Online“ hatte berichtet.

Die Funkgespräche auf Kanal vhf 16 zwischen der „Capri“ und der Seenotrettungsleitstelle in Rom sind aufschlussreich. Um 13 Uhr jenes Tages wird dem Flieger „Moonbird“ ein Schlauchboot im Meer angezeigt. Die römische Leitstelle ruft daraufhin die „Capri“ an: „Ist der libysche Offizier da?“, fragt der diensthabende Chef A. aus Rom und erhält die Antwort, dass der Libyer, Mustapha mit Namen, gerade ankommt. Um 14:02 Uhr ruft der italienische Kommandant namens L. der Mission Nauras auf der „Capri“ die römische Leitstelle zurück und erklärt, dass die Libyer auf einen Hinweis warten, um die „Rettung“ zu übernehmen: „Ja, sie warten auf mich, damit wir die Sache machen … damit wir die Sache abschließen können und sie loslegen können, da sollten wir uns in 5 Minuten updaten, ok?“ Um 14:17 Uhr meldet sich der italienische Kommandant L. auf  der „Capri“ bei der römischen Leitstelle zurück: Zur „Rettungs“-Mission werde aufgebrochen, aber man brauche noch eine „kleine Unterstützung“, und dann meldet Kommandant L. auf der „Capri“ der römischen Leitstelle: „Wir schicken euch jetzt also das Fax, sie [die Libyer] haben die Verantwortung für diese Sache übernommen, es gibt keine Vorgangsnummer, deswegen habe ich nur ‚Vorgang 18. März 2019‘ eingetragen, … in wenigen Minuten fährt das [libysche] Patrouillenboot los.“

Im laufenden Ermittlungsverfahren ist nun festzustellen, dass das italienische Personal nicht nur logistische, sondern auch entscheidungsbezogene Funktionen übernommen hat. Die Folgen einer solchen juristischen Feststellung wären gravierend. Wenn der Staatsanwalt diesen Vorgang für beweiskräftig belegt hält, kann der italienische Staat wegen Refoulement / Kollektivabschiebung und Mittäterschaft bei der Gewalt in den libyschen Internierungslagern angeklagt werden. Seit dem Inkrafttreten des italienisch-libyschen Memorandums (MoU) wurden ca. 40.000 Boat-people abgefangen und nach Libyen zurückdeportiert.

Das italienisch-libysche MoU wurde im Februar 2017 unterzeichnet und setzte die Schaffung einer libyschen Search-and-Rescue-Zone voraus. Diese SaR-Zone wurde bei der IMO im Juni 2018 tatsächlich registriert, bleibt aber eine Anomalie. Es ist weltweit die einzige SaR-Zone, die über keine sichere Häfen verfügt. Laut IMO können nur Nachbarstaaten, hier also Italien und Malta, die Aufhebung dieser SaR-Registrierung beantragen.

In einem Dokument der IMO heisst es: „Das Projekt der libyschen Seenotrettungsleitstelle wird von der italienischen Küstenwache geführt und von der Europäischen Kommission finanziert.“ Bekannterweise hat die italienische Regierung Libyen die Patrouillenboote geschenkt, eingeschlossen jenes, das die Männer des Abdul Rahman Milad einsetzen, der unter dem Namen „Bija“ bekannt und berüchtigt ist. Er ist der Chef der sogenannten Küstenwache von Zawiya und  nach einem UN-Bericht ein notorischer Menschenhändler. Der UN-Bericht stammt aus Juni 2017, einem Monat nach dem Besuch der Tripolis-Delegation – „Biji“ war dabei – im italienischen Auffanglager Cara di Mineo und im italienischen Innenministerium, dem „Viminale“. „Biji“ soll von der libyschen Marine im Juni 2018 suspendiert worden sein, als die libysche SaR registriert wurde. Demnach hat er bei dem Aufbau der libyschen SaR mitgearbeitet.

Das italienisch-libysche MoU soll am heutigen 03.11.2019 verlängert werden.

„La Repubblica“ schreibt nicht über die offene Frage, welche Nichtregierungsorganisationen sich mit der besagten libyschen Delegation im Mai 2017 in Italien getroffen oder mit ihnen und den italienischen Regierungsoffiziellen am gemeinsamen Tisch gesessen haben. Auch wird nicht berichtet, dass die europäische Militäroperation Eunavfor Med bis jetzt – fortlaufend und regelmäßig – Konferenzen in Rom veranstaltet, an denen nicht nur die Vertretungen der italienischen Regierung und Mitglieder der sogenannten libyschen Küstenwache, sondern auch einige Seenotrettungs-NGO-Vertreter*innen teilnehmen. Man darf annehmen, dass die aufdeckende Kritik an dem schmutzigen europäisch-italienisch-libyschen Deal des Push-Backs im zentralen Mittelmeer und der Aufrechterhaltung der libyschen Internierungslager durch diese NGO-Kooperation geschwächt wurde.

La Repubblica | 01.11.2019

La Repubblica | 03.11.2019

Italienische Staatsanwaltschaft ermittelt gegen italienische Leitung der libyschen Küstenwache

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