Rémi Carayol schreibt in LMD 11.07. über die französische Mittelmeerpolitik.

[…] Die Journalistin Marielle Debos bemerkte dazu, Frankreich begnüge sich „nicht mehr damit, günstige Bedingungen für einen Sieg der tschadischen Armee zu schaffen. Es bombardiert die Rebellen jetzt selbst.“ Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian übernahm die propagandistische Sprachregelung des Regimes in N’Djamena und bezeichnete die Rebellen als Terroristen. Die Intervention der französischen Luftwaffe vom Februar verglich er mit der Operation Serval in Mali vom Januar 2013, die den Vormarsch der Dschihadisten auf Bamako aufgehalten hatte.

Im Nachbarland Niger herrscht seit 2011 Präsident Mahamadou Issoufou, 2016 wurde er im Amt bestätigt. Obwohl auch er die Meinungsfreiheit massiv eingeschränkt hat, scheint er genauso unantastbar zu sein wie sein Amtskollege im Tschad. Den französischen Streitkräften lässt er freie Hand; von der französischen Basis in Niamey starten Drohnen, die offiziell die terroristischen Bewegungen in der Sahelzone überwachen.

„Weil es in der militärischen Kultur so verankert ist, denken die Offiziere, man brauche einen starken Mann an der Spitze des Staates, um einer terroristischen Bedrohung zu widerstehen“, erklärt ein französischer Diplomat, der in dieser Gegend tätig ist und lieber anonym bleiben möchte. „Sie wollen nicht begreifen, dass ihre Unterstützung für Autokraten auch dazu führen kann, dass Menschen sich den Terrorgruppen anschließen oder zumindest mit ihnen sympathisieren.“

Seit dem verstärkten militärischen Engagement Frankreichs in der Sahelzone seit 2013 wachse der Einfluss des französischen Generalstabs in Politik und Diplomatie. „Im Sahel verdrängt der Sicherheitsaspekt inzwischen jede andere Erwägung“, stellt er verbittert fest. „Deshalb ist das Militär für die Regierung zum unverzichtbaren Ansprechpartner geworden. Seine Analysen zählen mehr als unsere.“

In manchen Ländern der Sahelzone reden die Staatschefs inzwischen erst mit den französischen Offizieren, bevor sie sich an die Botschafter wenden. Évelyne Decorps, von 2013 bis 2016 französische Botschafterin in N’Djamena, und von 2016 bis 2018 in Bamako, machte ihrem Unmut über diese „Konkurrenz“ öffentlich Luft. Prompt wurde sie 2018 vorzeitig nach Paris zurückberufen und zur Verwaltungsdirektorin für die Französischen Süd- und Antarktisgebiete (TAAF) ernannt – ein diplomatisches Abstellgleis.

Im Außenministerium wird gemunkelt, dass es die Armeeführung war, die dafür gesorgt hat, dass Decorps abgesägt wurde. Ihre Versetzung illustriert den sinkenden Stellenwert der Diplomatie, die nur noch die militärischen Entscheidungen begleitet und quasi als deren Kommunikationsagentur fungiert. So kollaboriert man etwa mit bewaffneten Milizen, beziehungsweise Rebellengruppen (wie in Niger und in Mali), oder weigert sich kategorisch, Verhandlungen mit dem „Feind“ aufzunehmen.

Zwei gewichtige Tendenzen haben diese Entwicklung seit 2013 beschleunigt. Zum einen wurde das Außenministerium geschwächt. „Das Militär besetzt nur den Platz, den die Diplomaten aufgegeben haben“, betont Laurent Bigot, der als stellvertretender Ressortleiter für Westafrika im Außenministerium tätig war und 2013 nach einer Meinungsverschiedenheit mit dem damaligen Minister Fabius kaltgestellt wurde. In den letzten 30 Jahren hat das Ministerium die Zahl seiner Mitarbeiter um 53 Prozent reduziert, die meisten Stellen wurden auf dem afrikanischen Kontinent gestrichen. Ein Parlamentsbericht von 2017 schätzt den Rückgang des diplomatischen Personals in der Region Afrika und Indischer Ozean in den letzten zehn Jahren auf knapp 40 Prozent.

Diese Reduzierung erklären die Diplomaten damit, dass man Afrika am Quai d’Orsay nicht als noblen Einsatzort betrachte. „In einer militärischen Karriere hingegen ist ein Afrikaeinsatz Beweis für die Erfahrenheit – und gilt sogar als Auszeichnung“, meinen die Politikwissenschaftlerinnen Aline Lebœuf und Hélène Quénot-Suarez. So sei es zu erklären, dass „die Armee weniger Schwierigkeiten hat, Personal zu finden, das in manchen Fällen dann auch Diplomaten ersetzt“.

Aufstandsbekämpfung wie in der Kolonialzeit

Parallel zum schwindenden Engagement des Außenministeriums lässt sich als zweite Tendenz der zunehmende Einfluss der Armee aufs öffentliche Leben und sogar bei politischen und diplomatischen Entscheidungen beobachten. Grégory Daho, Politikwissenschaftler an der Sorbonne, nennt das die „Rache der Generäle“.

Seiner Meinung nach verlieren die Offiziere, die sich nach dem Algerienkrieg lange mit ihrer Meinung hatten zurückhalten müssen, nach und nach ihre Hemmungen, wenn es darum geht, sich in die Politik einzumischen. Seit den 1990er Jahren hätten „die gestiegenen technischen Voraussetzungen der Operationen und die Bürokratisierung der Verfahren die Einbeziehung der Generäle in außenpolitische Entscheidungsprozesse begünstigt“. Ihre Expertise werde immer mehr gebraucht. Und wenn es ein Gebiet gebe, mit dem die Armee nie den Kontakt verloren hat, dann sei das Afrika. Seit der Unabhängigkeit der einstigen Kolonien sei Frankreich dort stets technisch und militärisch präsent geblieben.

„Die Interventionsprofis für Afrika bilden heute die Reserve an verfügbarer Kompetenz“, so Daho weiter. Und diese befürworten eine offensive Strategie anstelle des im Kalten Krieg üblichen Abwartens. Sie profitieren von einem „neuen Gleichgewicht von Abschreckung und Intervention“, wie es in den letzten 20 Jahren besonders bei der Nato zu beobachten gewesen ist, und vom Wiedererstarken der Doktrinen zur Aufstandsbekämpfung aus der Kolonialzeit. […]

Chaos und Gewalt statt ­Befriedung

Die Wirksamkeit dieses Ansatzes ist allerdings nicht bewiesen. Seit Frankreich 2013 in Mali interveniert hat, hat die Armee mehrere hundert mutmaßliche Dschihadisten getötet, darunter einige Anführer. Sie hat Dutzende Verstecke mit Fahrzeugen und Waffen zerstört und zahlreiche Brunnen für die Zivilbevölkerung gebaut. Dennoch nimmt die Gewalt in der gesamten Sahelzone von Jahr zu Jahr zu, und die Zahl der zivilen Opfer ist besonders in den letzten beiden Jahren stark ­gestiegen.

Die bewaffneten Gruppen sind weit über die Grenzen ihrer angestammten Gebiete im Norden Malis und im Süden Libyens hinaus aktiv. Sie haben ihren Einfluss auf das Zentrum Malis, den Norden und Osten Burkina Fasos und den Nordwesten Nigers ausgedehnt und bedrohen inzwischen sogar westafrikanische Küstenstaaten wie die Elfenbeinküste und Benin.

Mancherorts sind Selbstverteidigungsmilizen entstanden, die wechselseitig Massaker an der Zivilbevölkerung anderer Volksgruppen anrichten. In Mali haben sich die Angriffe auf Dörfer in den letzten 18 Monaten vervielfacht. Nach Angaben des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte kamen dabei zwischen März 2018 und März 2019 mehr als 600 Menschen ums Leben und über 66 000 wurden vertrieben. Am 23. März 2019 überfiel eine Dogon-Miliz namens Dan Na Ambassagou das Peul-Dorf Ogossagou im Zentralmali, brannte es nieder und ermordete 157 Bewohner. Am 10. Juni wurden in derselben Region bei einem Überfall auf ein Dorf 35 Menschen getötet, diesmal waren die Opfer Dogon. In Burkina Faso und im Tschad kam es ebenfalls zu Massakern.

Auch die nationalen Armeen werden beschuldigt, im Verlauf ihrer „Befriedungsoperationen“ Zivilisten erschossen zu haben. Generalleutnant Bruno Clément-Bollée, ehemaliger Direktor für Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit und Verteidigung des französischen Außenministeriums, konstatierte kürzlich: „Trotz der Entsendung einheimischer und ausländischer Streitkräfte und der Verstärkung der Kontingente, trotz umfassender Maßnahmen, die im Sinne von Sicherheit und Entwicklung wirksam werden sollen, und gewaltiger finanzieller Aufwendungen versinkt die Region im Chaos.“8

Der Sicherheitswahn komme in der Sahelzone an seine Grenzen, räumt Clément-Bollée ein. In Mali sind im Rahmen der Minusma-Mission über 13 000 Blauhelme im Einsatz. Zusätzlich sind in der gesamten Region, insbesondere aber im Niger, neben den nationalen Streitkräften noch 4500 französische und einige hundert US-amerikanische, italienische und deutsche Soldaten aktiv. Dennoch sind sie weit davon entfernt, die Spirale der Gewalt zu durchbrechen. Sehr weit.

Frankreich: „Die Rache der Generäle“ im Sahel