Während Marine Le Pen in Frankreich den Stop der Visavergabe an Algerier*innen fordert, ermuntert das Handelsblatt heute Deutschland und Europa zum „Handeln“ gegenüber der „Staatskrise“ in Algerien und mokiert sich über den Stellenwert, der der Krise in Venezuela in den Medien und der Außenpolitik eingeräumt wird. Die wahre Bedrohung komme derzeit aus Algerien, in Form einer drohenden Massenflucht. Die europäischen Staaten, Parteien und Stiftungen haben – so wäre zu ergänzen – nicht das Personal, das Know How und einen Investitionsplan, um die algerische Transformation zu managen und revolutionären Entwicklungen vorzubeugen, wie sie es nach 1974 in Portugal, dann in Spanien und schließlich in Mittelosteuropa erprobt hatten. Ein EU-Marschallplan für Nordafrika war nach der Arabellion 2011 mehrfach versprochen und angemahnt worden, doch das alte Bündnis der EU-Staaten mit den exklusiven Machteliten Algeriens und seiner Nachbarländer hat die Stagnation vertieft. Wo sind heute die solidarischen Stimmen, die ein Programm der Grundsicherung, des Einkommens, der Grundrechte und der Reisefreiheit für 99 Prozent der algerischen Bevölkerung fordern? Das Handelsblatt schließt heute an den Diskurs von Le Pen an:

Doch die Geduld ist [in Algerien] am Ende. Und viele fürchten, dass es wieder zu Gewaltexzessen kommen könnte. Für Europa würde das erneut eine riesige Flüchtlingswelle bedeuten. Besonders betroffen wäre Frankreich – die ehemalige Kolonialmacht. Beide Staaten sind eng verzahnt. Und Deutschland bekäme darüber hinaus eine erneute Debatte um Rüstungsexporte: Denn Algerien erhielt 2018 deutsche Waffenliefergenehmigungen für über 800 Millionen Euro. Und ein weiteres Risiko darf nicht unterschätzt werden. Der Aufstand in Algerien könnte sich schnell auf andere Länder der Region ausbreiten. Eine neue Arabellion könnte die Folge sein. Es ist Zeit für Europa aufzuwachen – und zu handeln!

Algerien: Angst vor Massenflucht wird geschürt