Carolas Staatsanwalt und der libysche Lagerkommandant

Carolas Staatsanwalt Luigi Patronaggio hatte zuvor gegen den italienischen Innenminister Matteo Salvini wegen Freiheitsberaubung der Geretteten der „Diciotti“ ermittelt. Das Parlament hatte das Strafverfahren gegen den Innenminister gestoppt. Nun hat derselbe Staatsanwalt einen wahren juristischen Schatz in der Hand – gegen Salvini und gegen die EU-Beauftragung libyscher Küstenmilizen mit der Drecksarbeit der Lager und der Abschottung. Die Causa Carola kann zur Causa Bija und zur Causa EU-Libyen werden. Wenn der Staatsanwalt will, darf und kann.

„#FreeCarola“, Salvini und die Flüchtlingssolidarität

Die Herausgeberin der bürgerlichen Huffington Post, italienische Ausgabe, übertrifft in ihrem Leitartikel alle linken und NGO Appelle zur Seenotrettung und zur Freilassung Carolas. Lucia Annunziata ‎fordert die Festnahme des italienischen Innenministers Matteo Salvini, und selbstverständlich eine ungehinderte Seenotrettung sowie CarolaFree. Was führt bürgerliche Medien und Regierungsminister in Berlin, Luxemburg und Paris, die den Aufbau einer maximal flüchtlingsfeindlichen Frontex-Truppe betreiben bzw. begrüßen, zu ihrer Protesthaltung gegenüber Salvini?

Der erste Grund, den sie alle verschweigen, dürfte der ungeahnte Aufschwung einer radikalen Flüchtlingssolidarität vor allem in Italien und Deutschland sein. Da möchte man sich gerne an die Spitze stellen, um diese zu kanalisieren.

Number of asylum seekers sent back to Italy triples in five years

According to data from the Italian interior ministry, between January 2013 and November 2018, 24,000 people were returned to Italy from elsewhere in Europe. About 6,500 people were returned in 2018, compared with just under 2,500 in 2014, according to data from a database managed by the European Council on Refugees and Exiles. As it stands the number of people being returned to Italy could soon exceed those arriving across the Mediterranean from Libya.

„Die Werte der EU“

Trotz des eskalierenden Streits um das Rettungsschiff Sea-Watch 3 verweigert die Bundesregierung einem deutschen Städtebündnis die Aufnahme von 42 Flüchtlingen. Mehrere deutsche Städte bitten seit über einer Woche, die Flüchtlinge auf der Sea-Watch 3 aufnehmen zu dürfen; bei diesen handelt es sich teilweise um schwer traumatisierte Folteropfer, die die italienischen Behörden nicht an Land lassen: Rom verweigert nicht nur ihre Aufnahme, es hat die italienischen Hoheitsgewässer kürzlich auch de facto für Rettungsschiffe gesperrt. Aktuell gehen italienische Staatsstellen gegen die Sea-Watch 3 vor, die wegen der gravierenden Notlage der Flüchtlinge an Bord das im internationalen Seerecht verankerte Recht wahrgenommen hat, sich friedlich einem italienischen Hafen zu nähern. Gegen die zunehmend völkerrechtswidrige EU-Flüchtlingsabwehr protestieren immer breitere gesellschaftliche Kräfte, darunter nicht nur internationale Menschenrechtsorganisationen, sondern auch die großen christlichen Kirchen und sogar überparteiliche Bündnisse deutscher Kommunen.

Sea-Watch 3 in Sichtweite des Hafens von Lampedusa

Wie immer die Hängepartie im Streit um die Sea-Watch 3 ausgehen wird, gewonnen hat die Kapitänin des Bootes, Carola Rackete, jetzt schon. Ihrer Entscheidung ist es zu verdanken, dass sich die italienische Opposition, von der in den letzten 14 Tagen in Sachen Seenotrettung nichts zu hören war, endlich nach Lampedusa aufgemacht hat und sich Abgeordnete der PD inzwischen an Bord des NGO-Bootes befinden. Wichtiger aber noch ist, dass dank ihrer Entscheidung selbst bürgerliche Medien wie der Tagesspiegel oder die Huffington Post in ihren Kommentaren wieder über die Notwendigkeit zivilen Ungehorsams nachdenken und an Zivilcourage appellieren. Die Huffington Post stellt Carola Rackete in eine Reihe mit Rosa Parks und erinnert an Hannah Arendt, die Gleichgültigkeit als Grund für die Banalität des Bösen analysiert hat, und Andrea Dernbach vom Tagesspiegel assoziiert das Drama vor Lampedusa mit der Antigone von Sophokles: Carola Rackete und die Sea-Watch verteidigen ohne Rücksicht auf persönliche Verluste das Gesetz der Humanität gegen das Prinzip der Macht. Danke, Carola, danke Sea-Watch!

Trump lässt grüßen: Salvini denkt laut über Grenzbefestigung zwischen Slowenien und Italien nach

Kaum zurück von seiner USA-Reise denkt der italienische Innenminister und Vizepräsident Matteo Salvini laut über eine Mauer zwischen Slowenien und Italien nach. Die Vorlage hatte vor wenigen Tagen der Gouverneur der Region Friaul-Julisch-Venetien Massimiliano Fedriga gegeben. Er hatte Kroatien beschuldigt, die EU-Außengrenzen nicht effektiv zu schützen und mit der Suspendierung des Schengen-Vertrags gedroht. Nun legt Salvini nach: „Die Balkanroute ist wieder offen. Gemeinsame Patrouillen mit den Slowenen werden im Juli beginnen. Aber wenn der Zustrom von Migranten nicht aufhört, helfen nur noch extreme Maßnahmen. Wir schließen die Errichtung physischer Barrieren an der Grenze nicht aus, wie dies von anderen europäischen Ländern bereits praktiziert wird.“

»Die koloniale Gewalt kehrt zurück«

Wie Deutschland war Italien eine »späte Kolonialmacht«. Sie beherrschte Gebiete im heutigen Eritrea (1882), Somalia (1888), Libyen (1911 und 1934) und Äthiopien (1935). Die Hochphase des italienischen Kolonialismus fällt in die Zeit des Faschismus nach Mussolinis Machtergreifung 1922. Was diese Überschneidung bedeutete und welche Kontinuitäten das koloniale Denken in Italien bis heute hat, ist Gegenstand des vorliegenden Interviews, das Johanna Wintermantel für IZ3W mit einem Mitglied des italienischen Kollektivs Wu Ming (früher Luther Blisset) geführt und aus dem Italienischen übersetzt hat.

Italien: Sea Watch 3 läuft in italienische Hoheitsgewässer ein

Nachdem die italienische Regierung im stillen Einverständnis mit der EU der Sea-Watch 3 zwei Wochen lang die Landung im Hafen von Lampedusa verwehrt hat, hat sich die NGO heute entschieden, sich über das Verbot hinwegzusetzen und in italienische Hoheitsgewässer einzufahren. Kapitänin Carola Rackete und ihre Crew hatten vor 14 Tagen 53 Menschen aus Seenot gerettet, aber weder in Malta noch in Italien einen sicheren Hafen gefunden. Die italienische Marine hatte elf Migrant*innen, die am Rande ihrer Kräfte waren, nach Lampedusa gebracht, die verbliebenen 42 Boat-people mussten seitdem in Sichtweite der Insel auf dem Mittelmeer ausharren. Die Entscheidung, Lampedusa jetzt auch ohne Zustimmung der Hafenbehörde, sprich des Innenministeriums anzusteuern, begründet die Kapitänin mit der Notsituation an Bord. Migrant*innen und Geflüchtete hatten mit Hungerstreik und Suizid gedroht, viele seien traumatisiert. Bei der Einfahrt drohen der Crew der Sea-Watch 3 hohe Geld- und Gefängnisstrafen sowie die Beschlagnahmung des Schiffs.